Glooskap: Ein amerikanischer Kulturheros zwischen altem und neuem Mythos

Die Prä-Astronautik spielt gern mit unverständlichen Konzepten, bei denen nicht vorausgesetzt werden kann, dass ein Durchschnittsleser ihren wirklichen Gehalt kennt oder versteht. Da werden dann Worte, die in anderen Kulturen oder Religionen grundlegend sind, ganz und gar – und noch dazu falsch – umgedeutet. Um drei solcher Begriffe soll es hier und in den folgenden Artikeln kurz gehen.

Beginnen wir mit Glooskap. Als Anno 1970 im ZDF eine Verfilmung der „Lederstrumpf-Erzählungen“ von James Fennimore Cooper lief, da verehrten die Indianer im Dorf der Huronen Glooskap. Für den Zuschauer war klar: Das muss irgendein Gott oder Götze sein.
Nicht so in der Literatur zur Prä-Astronautik. Hier steht Glooskap mehrheitlich für einen leiblichen Menschen, entweder einen außerirdischen Astronauten oder einen Tempelritter, der den Gral nach Amerika brachte, zumindest aber einen weißen Kulturbringer[1], ganz entsprechend dem rassistischen Narrativ, die Menschen Altamerikas hätten ohne europäische Hilfe nichts zustande bringen können.        
Als Beleg dafür, dass die Templer aus Frankreich geflüchtet und in Neuschottland angekommen seien, wo sie auf Oak Island die außerirdische Manna-Maschine versteckten (warum eigentlich?), werden von vielen Prä-Astronautik-Autoren immer wieder die Legenden der Micmac (auch Mi’kmaq) über Glooskap wie auch deren Felszeichnungen zitiert, die Schiffe und Ritter zeigen. Diese Petroglyphen stammen jedoch aus den letzten drei Jahrhunderten: „Die Rumpfform und Takelagen dieser Schoner gehören zur Nautik des 19. Jahrhunderts. Ein Schiff mit Gaffersegel entspricht gar der holländischen Bauart des 17. Jahrhunderts. […] Mit grosser Wahrscheinlichkeit stammen einzelne Schiffsdarstellungen auch von weissen Siedlern. Vielleicht wurden sie von jenen paar heimwehkranken Franzosen gezeichnet, die sich 1710 und 1755 auf der Flucht vor den Engländern zu den Micmac geschlagen […] hatten.“[2] Tatsächlich nahm der Schiffsbau im 18. und 19. Jahrhundert eine so rapide Entwicklung, dass die dargestellten Schiffstypen auf wenige Jahre präzise eingegrenzt werden können. 
Für Mathias Kappel[3] ist allerdings eine Legende der Abnaki-Nation im Nordosten der Vereinigten Staaten Beweis genug dafür, dass entweder die Templer oder der von ihnen informierte schottische Ritter Sinclair die Manna-Maschine nach Kanada gebracht haben: „Bei den heute noch in Neuschottland lebenden Micmac-Indianern existiert die Legende von einem weißen Kulturbringer namens ‚Glooskap‘. Die Parallelen zum Abenteuer Henry Sinclair sind offenkundig.“ Als Quelle reichen ihm zwei populärwissenschaftliche Bücher, ein Terra-X-Band und ein grauenvolles Machwerk von Heinke Sudhoff, die beide voller Falschangaben und logischer Kurzschlüsse sind. Als erster zitierte übrigens der italienische Prä-Astronautik-Autor Peter Kolosimo[4] den Mythos um Glooskap, den er damals allerdings noch als Astronaut deutete.

Abb. 1: Glooskap-Monument der Millbrook First Nation im Reservat Millbrook 27, Nova Scotia (Foto: Madereugeneandrew, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0).

Sehen wir uns an, wie die Urfassung dieses Mythos lautet, wenn er nicht von Autoren manipuliert wird, die auf Teufel-komm-raus Europäer oder Astronauten als Kulturbringer für die indianischen Völker Amerikas brauchen. Glooskap ist einer von zwei Zwillingen. Er verkörpert das Gute, sein Bruder Malsum das Böse. Glooskop bedeutet „Lügner“, und er hat den Indianern der Abnaki-Nation (zu der die Micmacs gehören) die Kultur gebracht:

„Glooskap erschuf Himmel, Erde, Tiere und Menschen aus dem Körper seiner Mutter, Malsum schuf die Berge, Täler, Schlangen und all das, was Glooskap schaden sollte. Jeder der Brüder konnte nur durch einen bestimmten Gegenstand erschlagen werden. Malsum fragte Glooskap, wodurch er verletzt werden könnte, und Glooskap antwortete ihm, er könne nur durch die Feder einer Eule getötet werden. Malsum sagte Glooskap, er könne nur durch eine bestimmte Art Farn getötet werden. Mit diesem Wissen tötete Malsum Glooskap. Glooskap jedoch war nicht tot, sondern untot, und konnte sich zu Malsums Schrecken wieder selbst ins Leben rufen. Die Feindschaft zwischen den Brüdern war beendet, als Glooskap Malsum mit einem Farn berührte und ihn so tötete. Alle bösen Geschöpfe, die Malsum erschaffen hatte, stürzten sich von da an auf all das Gute, das Glooskap geschaffen hatte, um ihren Schöpfer zu rächen. Um die Menschheit zu schützen, musste Glooskap die Naturkräfte einsperren und einen ständigen Kampf gegen Hexen, Geister und Zauberer führen. Nachdem er viele böse Mächte bezwungen hatte, entschloss sich Glooskap, es sei an der Zeit, die Welt zu verlassen. Am festgelegten Tag gab er ein großes Fest für alle Tiere am Ufer eines Sees, dann driftete er mit seinem Kanu davon. Als ihn die Tiere nicht mehr sehen konnten und auch seinen Gesang nicht mehr hörten, konnten sie sich untereinander nicht mehr verstehen.“[5]

So die Zusammenfassung der Glooskap-Erzählungen in einem Handbuch der Mythologie. Da scheint kein Europäer, kein Alien, nicht einmal die weiße Haut auf.      
Detaillierter geht bereits 1894 Otto L. Jiriczek in seinem Aufsatz Sagen der Indianer von Ost-Canada[6] auf Glooskap und den um ihn erzählten Mythenzyklus ein (es folgt ein längerer Ausschnitt aus einem fast 20 Seiten langen Beitrag):

„Ueber die Herkunft Glooskaps giebt es zwei verschiedene Versionen; nach der einen kam er auf einer schwimmenden Granitinsel über die See; nach einer anderen, die in südlicheren Indianerlegenden ihre Parallelen findet, war er der Zwillingsbruder des Malsum-sis, welcher letztere bei der Geburt den Tod der Mutter verursachte, indem er durch ihre Seite durchbrach.      
Malsum-sis, Wolf der Jüngere, war böse und wollte Glooskap tödten. Beide Brüder hatten ein gefeites Leben und waren nur durch ein Ding zu tödten, Malsum durch den Schlag einer Farrenkrautwurzel, Glooskap durch den einer blühenden Binse. Glooskap ahnte, daß der Bruder Böses beabsichtigte, als er ihn nach dem Geheimniß fragte, und gab zwei Mal falsche Auskunft, daher heißt er Glooskap (Lügner) – als aber Malsum nach zwei mißlungenen Mordversuchen schließlich doch durch eine Unvorsichtigkeit Glooskaps den rechten Todeszauber in Erfahrung brachte, mußte sich Glooskap entschließen, ihm zuvorzukommen, und er tödtete ihn im tiefen dunklen Walde. Glooskap saß nun über ihm und stimmte die Todtenklage an, dann aber verwandelte er ihn in das Shickshoe-Gebirge auf der Halbinsel Gaspé; am Ende der Welt aber wird er wieder erstehen und mit allen Dämonen Glooskap bekämpfen.  
Als Glooskap nach Canada kam, war es wüste und unbewohnt; da beschloß er, es zu beleben; er schoß mit seinem Bogen Pfeile auf eine Esche, da kamen aus der Rinde kleine Elfen und aus dem Stamme die Menschen; die dunklen lückenhaften Berichte lassen vermuthen, daß die Elfen Holzfiguren schufen, denen Glooskap Leben verlieh.        
Ferner schuf er (nach einer anderen Version benannte er blos) die Thiere, anfangs in ungeheuren Dimensionen; als sie aber auf seine Frage, was sie den Indianern thun würden, antworteten: sie zerreißen oder Bäume auf sie stürzen, benahm er ihnen ihre Größe und Stärke bis zu einem Grade, der die Indianer befähigte, ihrer Herr zu werden. Eines der größten Ungethüme nahm er an seinen Busen und streichelte es so lange, bis es immer kleiner wurde und ihm seitdem als kleines Eichhörnchen folgte; in Glooskaps Kämpfen gegen Giganten vermag jedoch das Eichhorn wieder zu riesiger Größe anzuschwellen und seinem Herrn zu helfen. Von den Thieren wählte er dann zu seinem besonderen Dienste die Tauchervögel, doch blieben sie ihm zu lange aus, wenn er sie entsandte, und so behielt er sie nur als seine Berichterstatter und nahm zu seinem persönlichen Dienste zwei Wölfe an, einen weißen und einen schwarzen, die ihm immer folgen. Von diesen Thieren sagt der Indianer noch heute, wenn er die Taucher schreien und die Wölfe heulen hört, sie rufen jammernd nach ihrem davongegangenen Herrn.   
Glooskap nahm sich der Indianer an, lehrte sie jagen, Canoes und Wigwams verfertigen, zeigte ihnen den Lauf der Sterne, die Wunderkräfte der Pflanzen und der ganzen Natur. Vor Allem aber beschütte er sie gegen die Ungethüme der Thierwelt und gegen die dämonischen Stein- und Frostriesen und Zauberer, die er mit Hilfe eines magischen Kraftgürtels besiegte. Weithin wanderte er beständig durch ihr Land, und es giebt kaum ein Gebirge, einen Fluß u.s.w., dem er nicht seinen Namen geliehen hätte.
Er selbst aber lebte in einem geheimnißvollen, den Augen der Menschen entzogenen Lande, in das sich nur selten einzelne besonders erforene und beglückte Menschen verirrten, die er dann freundlich aufnahm und selten ohne wunderbare Geschenke wegziehen ließ. Dort hauste er unverheirathet, ein altes Weib, das er seine Großmutter nannte und das ihm die Wirthschaft führte, sowie ein kleiner Diener aus dem Elfengeschlechte, dessen Name in verschiedenen Versionen als Hausschwalbe oder Marder gegeben wird – wir sehen hier deutlich den Glauben an die Verwandlung eines seelischen Geisterwesens in Thiergestalten – bildeten seine einzige Gesellschaft.      
[….] Endlich aber nahm Glooskap für immer Abschied von seinen Kindern, und versammelte alle Wesen am Seestrande, bestieg dort sein steinernes Canoe, versprach, am Ende der Welt wiederzukommen und alle Unholde, die dann wieder erstehen würden, zu bekämpfen, und fuhr nach Westen. Alle blickten ihm traurig nach, bis er verschwand; noch hörten sie seinen Gesang über die Wogen, aber auch dieser wurde immer schwächer, und endlich verklang er gänzlich in der Ferne. Eine drückende Todtenstille lastete über den Versammelten, die hörten nur die Wellen am Strande schluchzen, dann aber flohen sie Alle wehklagend auseinander; der Wolf barg sich in den tiefen Wäldern und heulte, die Eule jammerte, und die Taucher flattern seitdem über die ganze Welt und suchen vergeblich ihren Herrn, nach dem sie wehklagend rufen.   
Ueber die Rückkehr Glooskaps und das Ende der Welt sind die Traditionen bereits höchst verwischt und lückenhaft geworden: es wird nur erzählt, daß Glooskap jenseits der See einen ungeheuren Wigwam bewohne und beständig Pfeile schnitzte; bis der Wigwam voll ist, wird der Gott wiederkehren und unter Erdbeben und Feuer wieder erscheinen und alle Unholde bekämpfen; dann wird Malsumsis, der böse Bruder Glooskaps, wieder erstehen. Alles wird verbrennen … ‚doch wir wissen nicht wie —‘, so schließen die Erzählungen der Indianer von dieser amerikanischen Götterdämmerung.“

So also wurde die Geschichte von Glooskap erzählt, bevor man einen europäischen Seefahrer, Tempelritter, Astronauten oder weißen Kulturbringer aus ihm machte. Und nichts in diesen Erzählungen weist auf einen europäischen Seefahrer, Tempelritter, Astronauten oder weißen Kulturbringer hin.         
Diese Legende ist hier nur deswegen so ausführlich zitiert, weil zu befürchten ist, dass die vollkommen falschen Angaben über Glooskap immer weiter in die Deutung integriert werden, ohne dass sich jemand die Mühe machen wird, das Original nachzulesen.[7]


[1] Charroux, R. 1997: Unbekannt – geheimnisvoll – phantastisch. Econ, Düsseldorf, 87, 93.

[2] Schumacher, Y. 1999: Der Traum der schwimmenden Insel. Mysteriöse indianische Felszeichnungen in Nova Scotia. Neue Zürcher Zeitung, 19. August 1999, 37.

[3] Kappel, M. 1995: Die Suche geht weiter, in: E. von Däniken (Hg.), Fremde aus dem All. Kosmische Spuren, Neue Funde, Entdeckungen und Phänomene. Goldmann, München, 103‒107, Zitat 107.

[4] Kolosimo, P. 1972: Not of this World. Sphere, London, 65.

[5] Cotterell, A. 1989: Myths & Legends. Marshall, London, 93.

[6] Nord und Süd 71 (1894), 357–366.

[7] Mehr zu Glooskap und den Mythen um die Figur siehe:
Levi-Strauss, C. 1975: Mythologica IV. Der nackte Mensch. Suhrkamp, Frankfurt a. Main, 233.
Bruchac, J. 2016: Our Stories Remember: American Indian History, Culture, and Values Through Storytelling. Fulcrum Publishing, Golden.
Buddrus, W. 2020: Mythen und Legenden der alten Völker Nordamerikas. Band I. BOD, Norderstedt, 503.
Leland, C. G. 2017: The Legend of Glooskap the Divinity, Algonquin Magician. Umbrage Press.
Spence, L. 2013: A Brief Guide to Native American Myths and Legends. Robinson Publishing, London.

Ulrich Magin lebt nahe Bonn und ist Autor von Unter der Erde. Unterirdische Anlagen in Deutschland von der Steinzeit bis heute sowie zahlreicher anderer Bücher.