Kämpfer aus dem Süden? Die Pfeilspitzen aus dem Tollensetal
Leif Inselmann, Joachim Krüger, Lorenz Rahmstorf, Franz Schopper und Thomas Terberger
[44] Seit einigen Jahren steht das Tollensetal in Mecklenburg-Vorpommern im Fokus der Bronzezeitforschung. Tausende von Menschenresten und zahlreiche Bronzefunde wurden in einem etwa 2,5 km langen Abschnitt des Flusses entdeckt und als Überreste eines größeren Gewaltkonfliktes vor etwa 3300 Jahren interpretiert. Für das Verständnis des damaligen Ereignisses sind die Waffenfunde von besonderer Bedeutung. Nun wurden erstmals die Pfeilspitzen aus dem Tollensetal systematisch untersucht. Demnach spielte die Bogenwaffe eine wichtige Rolle in dem Gewaltkonflikt und auch zur Frage der Herkunft der Kämpfer gibt es neue Erkenntnisse.
Von der ausgehenden Altsteinzeit bis zur Durchsetzung der Feuerwaffen waren Pfeil und Bogen die wichtigste Distanzwaffe, die seit ihrer Einführung auch in zwischenmenschlichen Konflikten zum Einsatz kam. Ein prominentes Opfer der Waffe war zum Beispiel „Ötzi“, der Mann vom Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen, der vor ca. 5200 Jahren durch einem Pfeilschuss in den Rücken zu Tode kam. Spätestens mit der Bronzezeit erreichten menschliche Gruppenkonflikte eine neue Dimension, wie die außergewöhnlichen Funde aus dem Tollensetal anschaulich bezeugen.
Pfeil und Bogen im Tollensetal

Bereits einer der ersten Funde, die 1996 von Ronald Borgwardt aus dem Uferbereich der Tollense geborgen wurden, bezeugt den Einsatz von Pfeil und Bogen: In einem Oberarmknochen steckte eine Flintpfeilspitze, die von hinten wohl auf eine flüchtende Person abgeschossen worden war. Dennoch blieb die Bedeutung dieser Waffe lange unklar. Mit den systematischen Forschungen ab 2008 konnten zwar zahlreiche Menschenreste im Flusstal entdeckt werden, doch weitere Pfeilspitzen gehörten nicht dazu. Erst im Zuge systematischer Metalldetektorbegehungen gelang die Auffindung zahlreicher Bronzepfeilspitzen in dem entlang der Tollense gelagerten Baggergut. Das Tauchteam konnte dann weitere Bronzepfeilspitzen aus dem Fluss bergen. Mit der Untersuchung einer größeren Grabungsfläche an der Fundstelle Weltzin 20 (vgl. AiD 4/2011) ließ sich schließlich die Vergesellschaftung der Bronze- und Flintpfeilspitzen mit den Menschenresten und die Bedeutung der Waffe für den Konflikt nachweisen.
Heute liegen aus der Tollense über 12.000 menschliche Überreste von mehr als 150 Individuen sowie 64 Pfeilspitzen (54 aus Bronze, 10 aus Flint) vor. Dazu kommen weitere Waffenfunde wie Bronzelanzenspitzen, -beile und Holzkeulen, die gut zu den beobachteten Verletzungen passen: Große Schädelläsionen zeugen von stumpfer Gewalt gegen den Kopf (Holzkeulen?), während Stichverletzungen v.a. auf Lanzenspitzen zurückgehen dürften. Doch nur Pfeilschussverletzungen kommen in größerer Zahl vor.
In der Regel sind nur die Projektile aus dauerhaftem Material überliefert; lediglich in einem Fall hat sich auch ein 24 cm langer Teil des Holzschaftes erhalten. In den Tüllen der Bronzepfeilspitzen konnten wiederholt Schaftreste aus Hölzern wie Hartriegel und Schneeball entdeckt werden. Sie ermöglichten eine Reihe verlässlicher 14C-Daten von verschiedenen Stellen, die eine Datierung des Konfliktes in das 13. Jh. v. Chr. bestätigen.
Mit einer Masterarbeit an der Universität Göttingen konnte nun eine systematische Untersuchung der Pfeilspitzen aus dem Tollensetal realisiert werden. Neben einer typologischen Bestandsaufnahme widmete sich die Studie vor allem auch den Parallelen. Über 4700 bronzezeitliche Pfeilspitzen aus ganz Mitteleuropa wurden erfasst, sodass es gelingt, die Exemplare aus dem Flusstal in ihrem regionalen wie überregionalen Kontext zu verstehen.

Pfeil und Bogen in der Bronzezeit
Aus der europäischen Bronzezeit sind nur etwa zwölf Bögen aus Gletschereis und Feuchtbodensiedlungen überliefert. Dazu zählen sechs fragmentarisch erhaltene Bögen vom Lötschenpass in den Schweizer Alpen, die in den 1930er- bis 1940er Jahren entdeckt wurden und in das Endneolithikum und die Frühbronzezeit datieren. Nur der 2011 am Rand des Åndfonne-Gletschers gefundene Bogen von Breheimen (Norwegen) stammt ungefähr aus der Zeit des Tollensetal-Ereignisses.
[45] Bei allen Exemplaren handelt es sich um einfache Bögen aus einem Stück, die überwiegend aus Eibe, seltener aus Ulme (Lötschenpass) oder Schneeball bzw. Hartriegelholz (Fiavé-Carera, Italien) gefertigt wurden. Die zu dieser Zeit im Vorderen Orient verwendeten Kompositbögen sind für die mitteleuropäische Bronzezeit nicht belegt.
Auch Pfeilschäfte sind aus der Bronzezeit nur selten erhalten; die größte Zahl geht auf norwegische Gletscherfunde zurück. Umso bemerkenswerter ist das Schaftfragment mit Tüllenpfeilspitze aus dem Tollensetal (Fundplatz Weltzin 28), das in einem Grab von Behringersdorf bei Nürnberg seine beste Parallele findet.
Angesichts fehlender Schriftquellen und seltener Bildquellen belegen vor allem Pfeilspitzen als Grabbeigaben die flächendeckende Verwendung der Bogenwaffe in der Bronzezeit. In Deponierungen treten Bronzepfeilspitzen bislang kaum auf, doch die wachsende Zahl von Exemplaren aus Detektorbegehungen mag das Fundbild zukünftig verändern.

Pfeilspitzen zwischen Tradition und Innovation
In frühbronzezeitlichen Kulturgruppen wie der Aunjetitzer Kultur werden in neolithischer Tradition vor allem Flintpfeilspitzen verwendet. Erst mit der mittleren Bronzezeit setzen sich aus Bronze gegossene Pfeilspitzen in Mitteleuropa durch. In großen Teilen des Nordischen Kreises finden jedoch weiterhin fast ausschließlich Flintpfeilspitzen Verwendung. Das heutige Mecklenburg-Vorpommern und das nördliche Brandenburg bilden dabei eine Übergangszone, in der neben vielen Flintpfeilspitzen ab Periode III (1300‒1100 v. Chr.) auch Exemplare aus Bronze auftreten. Moderne Schussexperimente zeigten kaum Unterschiede in der Eindringtiefe von Bronze- und Flintpfeilspitzen (vgl. AiD 2/2014). Die Bevorzugung des jeweiligen Materials dürfte daher in der Verfügbarkeit der Rohmaterialien, der Infrastruktur zur Herstellung und in kulturellen Traditionen begründet liegen.
Die Flintpfeilspitzen der entwickelten Bronzezeit können überwiegend dem herzförmigen Typus mit eingezogener Basis zugeordnet werden. Pfeilspitzen aus Geweih oder Knochen treten kamen in der jüngeren Bronzezeit auf und bleiben weitgehend auf das Gebiet der Lausitzer Kultur und ihre Nachbargebiete – das heutige Polen, Brandenburg und Sachsen – beschränkt.
[46] In Schleswig-Holstein und Dänemark tritt in der jüngeren Bronzezeit erstmals ein eigener Typ von Bronzepfeilspitzen mit aus Blech zusammengebogener Tülle auf, doch erst mit der Eisenzeit setzen sich metallene Pfeilspitzen dort flächendeckend durch.
Pfeilspitzen zwischen Alpen und Ostsee

Die Flintpfeilspitzen im Tollensetal können als typische Form der lokalen Mecklenburger Gruppe des Nordischen Kreises gelten. Dagegen gehören die 54 Bronzepfeilspitzen zu unterschiedlichen Typen. Die Bronzepfeilspitzen der Urnenfelder- und Hallstattzeit (1200‒450 v. Chr.) hat Holger Eckhardt bereits 1996 in solche mit Schafttülle, Schaftdorn und Schaftzunge eingeteilt, die er anhand ihrer Blattform weiter differenzierte. In Mitteleuropa waren Tüllenpfeilspitzen weit verbreitet, während Schaftdornpfeilspitzen in einem Gebiet von Frankreich im Westen bis nach Bayern im Osten verwendet wurden.
Die bronzenen Tüllenpfeilspitzen mit Flügelenden (Typ 4 A) sind der überregional häufigste Typ, der in weiten Teilen Deutschlands und Ostmitteleuropas vorkommt. Eine ähnliche Verbreitung zeigen die weniger zahlreichen Tüllenpfeilspitzen mit abgerundetem Blatt (Typ 5 A/B), doch scheinen diese im Norden häufiger aufzutreten; vermutlich handelt es sich bei den Exemplaren mit schmalem Blatt (Typ 5 B) um länger verwendete, nachgeschärfte Exemplare des Typs 5 A. Beide Typen sind im südlichen Mecklenburg-Vorpommern mehrmals belegt. Im Tollensetal haben sie mit 16 und 24 Exemplaren den größten Anteil. Dagegen kommen Tüllenpfeilspitzen mit gerader oder ausgezogener Basis (Typ 4 B) erst weiter südlich in Brandenburg und Polen vor ‒ die elf Fundstücke aus dem Tollensetal repräsentieren die einzigen der Periode III aus Mecklenburg-Vorpommern. Schließlich sind zwei Tüllenpfeilspitzen mit seitlichem Widerhaken (Typ 4 C) sowie eine Bronzepfeilspitze mit Schaftdorn (Typ 2 A) aus dem Flusstal hervorzuheben, die sonst in Mecklenburg-Vorpommern nicht auftreten. Ihr Verbreitungsgebiet im südlichen Mitteleuropa reicht von Baden-Württemberg über Bayern bis nach Mähren. In Brandenburg sind Bronzepfeilspitzen mit Widerhaken in der jüngeren Bronzezeit vereinzelt zu finden, während solche mit Schaftdorn nördlich der Mittelgebirge sonst fehlen.
Kämpfer aus dem Süden?

Insgesamt zeigt das Tollensetal ein Mosaik aus lokalen Flintpfeilspitzen, regional bekannten (Typ 4 A, 5 A/B) und eindeutig ortsfremden Formen von Bronzepfeilspitzen (Typ 2 A, 4 B, 4 C). Das gemeinsame Verbreitungsgebiet der fremden Pfeilspitzentypen, in dem auch die regional bekannten Typen vorkommen, lässt sich im südlichen Mitteleuropa von Bayern bis Mähren verorten. Dieses Gebiet deckt sich mit der Herkunft anderer ortsfremder Formen aus dem Tollensetal, wie einem Riegsee-Schwert oder einem böhmischen Absatzbeil. Besonders hervorzuheben sind auch Bestandteile des Trachtschmucks aus diesem Gebiet, wie goldene Spiralringe mit tordiertem Ende und verschiedene Nadeltypen. Die Zusammensetzung der Pfeilspitzentypen passt damit zu der Hypothese, dass bei dem Gewaltereignis im Tollensetal lokale Kräfte auf auswärtige Kämpfer trafen. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit Strontiumisotopenanalysen, die bereits eine nicht-lokale Herkunft für einen Teil der beteiligten Kämpfer nahelegten, ohne dass die Herkunftsregion näher bestimmt werden konnte.
Ein Import der fremden Pfeilspitzentypen durch einheimische Kämpfer [47] erscheint hingegen wenig wahrscheinlich, da man in diesem Fall die Fremdformen als Teil von Grabausstattungen und Einzelfunde in der Region erwarten dürfte. Die gut definierten Herkunftsgebiete der Bronzepfeilspitzen sind demnach ein Indiz für eine Beteiligung ortsfremder Personen am Konflikt im Tollensetal. Eine bemerkenswerte Parallele für die anzunehmende Ausstattung der beteiligten Kämpfer bietet das zuvor erwähnte, um 1300 v. Chr. datierende Steinkistengrab 5 von Behringersdorf (Lkr. Nürnberger Land, Bayern), das neben einem Riegsee-Schwert auch eine Köcherladung von Bronzepfeilspitzen der Typen 2 A, 4 A, 4 C und 5 A enthielt.
Kriegerische Zeiten
Bislang steht das Tollensetal als Zeugnis eines großen Gewaltkonfliktes in der Bronzezeit isoliert. Jedoch fand sich an verschiedenen bronzezeitlichen Burganlagen von Hessen bis Bayern eine größere Zahl von Bronzepfeilspitzen, darunter auch solche mit Aufprallbeschädigungen. Hierzu zählen der Sängersberg (Lkr. Fulda), der Reisberg bei Scheßlitz-Burgellern (Lkr. Bamberg), der Hesselberg bei Ehingen/Röckingen (Lkr. Ansbach), die Ehrenbürg bei Forchheim, die Rachelburg bei Flintsbach a. Inn (Lkr. Rosenheim) und die ins 9. Jh. v. Chr. datierende Heunischenburg bei Kronach. Die Funde vom Sängersberg, der Rachelburg und aus dem Tollensetal können dabei jeweils in das 13. Jh. v. Chr. und damit an den Beginn der Urnenfelderzeit in Mitteleuropa datiert werden. Diese Phase ist durch das Aufkommen neuer Waffentypen und metallener Schutzwaffen sowie die verstärkte Errichtung befestigter Siedlungen gekennzeichnet, die offenbar mit einer Professionalisierung des Kriegerstandes sowie der Etablierung neuer Eliten einhergehen. Darüber hinaus ist dieser Zeitabschnitt von einer weiteren Globalisierung geprägt, wie etwa ostmediterrane Glasperlen in einem Hortfund der Periode III (1300‒1100 v. Chr.) von Neustrelitz bezeugen. Im 13. Jahrhundert v. Chr. breiten sich zudem Waagen und Gewichte in Mitteleuropa aus (vgl. AiD 4/2023). Daher könnte das Gewaltereignis im Tollensetal, das vermutlich an einer seit Jahrhunderten bestehenden Straße durch das Tal seinen Ausgangspunkt nahm (vgl. AiD 3/2016), mit dem überregionalen Handel bzw. der Kontrolle eines wichtigen Handelsweges verknüpft gewesen sein. Mit der Verteilung der unterschiedlichen Pfeilspitzentypen im Tal wird es im Zusammenspiel mit anderen Fundkategorien nun auch möglich sein, das Geschehen im Tal näher zu rekonstruieren.

Literatur
L. Inselmann, J. Krüger, F. Schopper, L. Rahmstorf und T. Terberger, Warriors from the South? Arrowheads from the Tollense Valley and Central Europe. Antiquity 98/401 (2024), 1252‒1270. https://doi.org/10.15184/aqy.2024.140
H. Eckhardt, Pfeil und Bogen. Eine archäologisch-technologische Untersuchung zu urnenfelder- und hallstattzeitlichen Befunden. Internationale Archäologie 21 (Leidorf 1996).
D. Jantzen, J. Orschiedt, J. Piek und T. Terberger (Hrsg.), Tod im Tollensetal. Forschungen zu den Hinterlassenschaften eines bronzezeitlichen Gewaltkonflikts in Mecklenburg-Vorpommern. Teil 1: Die Forschungen bis 2011 (Schwerin 2014).
J. Junkmanns, Pfeil und Bogen. Von der Altsteinzeit bis zum Mittelalter (Ludwigshafen 2013).
J. Krüger, G. Litke, S. Lorenz und T. Terberger (Hrsg.), Tollensetal 1300 v. Chr. Das älteste Schlachtfeld Europas. AiD-Sonderheft 19 (Darmstadt 2020).
Der Text dieses Artikels erschien ursprünglich in der Archäologie in Deutschland (3/2025, 44‒47); zur Zitation beachte die eingefügten [Seitenzahlen]. Abbildungen und Literaturliste wurden für die Online-Publikation abgewandelt.










