Hämmer für Riesen? – Die Steingeräte von Great Orme

Steingeräte aus der Great-Orme-Mine (Lewis 1996, 115 / Pl. 15).

Mit Verweis auf übermenschlich große Skelette, die angeblich im 19. Jahrhundert und anderen Zeiten in großer Zahl entdeckt worden sein sollen, versucht eine bestimmte Szene der heutigen Parawissenschaft, die einstige Existenz einer Rasse von Riesen zu beweisen. Neben sterblichen Überresten, die seltsamerweise allesamt nicht mehr auffindbar sind, hat mittlerweile auch eine andere Fundgattung das Interesse der sogenannten „Gigantologie“ geweckt: Werkzeuge und Waffen von solch gewaltiger Größe, dass vermeintlich nur übermenschlich große Wesen sie benutzt haben können. Ein Beispiel für solche Objekte bilden die „Riesenhämmer“ der Great-Orme-Mine, die inzwischen auf vielen einschlägigen Seiten zitiert werden.
2008 erschien im Nexus-Magazin ein Artikel mit dem Titel Riesenmenschen wandelten auf der Erde[1]. Der Autor Ted Twietmeyer ist langjähriger Projektmanager, der nach Aussage des Autorenportraits der Zeitschrift bereits für die NASA und das US-Verteidigungsministerium arbeitete. Schwerpunkt des Artikels bildet die Vorstellung mutmaßlicher Riesen-Artefakte. Garniert wird dies durch genretypische Ausblicke auf falsch betitelte mesopotamische Reliefs und prähistorische Megalithanlagen. Mittlerweile ist der gesamte Text im alternativhistorischen Portal Atlantisforschung.de verfügbar, auch eine englische Fassung findet sich auf mehreren einschlägigen Seiten im Internet.[2] Der Riesen-Blog Greater Ancestor World Museum übernahm einen Großteil des Artikels wortwörtlich, aber ohne Quellenangabe.[3]     

Die Hammersteine von Great Orme

Im Norden von Wales liegt die Great-Orme-Mine, mit über acht Kilometern an Tunneln die größte bislang entdeckte vorgeschichtliche Kupfermine. In der Bronzezeit von 1800–1200 v. Chr. wurde hier in großem Maßstab Kupfer abgebaut, bevor mit Erreichen des Grundwasserspiegels und der zunehmenden Etablierung von Eisen schließlich die Bedeutung des dortigen Bergbaus schwand. Erst in der Neuzeit kam es zu weiteren Minenaktivitäten, die vom 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert andauerten. Ausgrabungen förderten über 20.000 Tierknochen und rund 3.000 Steinwerkzeuge zutage, die die Great-Orme-Mine zu einem herausragenden archäologischen Fundplatz machen.[4]
Zu besagten Werkzeuge zählen zahlreiche Steinhämmer, deren Gewicht zwischen 2 und 29 kg bei einer Länge von 5 bis 40 cm rangiert.[5] Während also die meisten Stücke relativ konventionelle Ausmaße zeigen, fallen einige deutlich aus dem Rahmen. Auf diese „Riesenhämmer“ bezieht sich Twietmeyer in seinem Artikel:

„Mehr als 2.500 Vorschlaghämmer wurden aus der Mine geborgen. Der größte davon wiegt um die 64 Pfund (ca. 29 Kilogramm). Wer um alles in der Welt hätte einen 64-Pfund- Hammer schwingen können? Die größten heute benutzten Vorschlaghämmer wiegen 20 Pfund (etwa 9 kg) (Abb. 1), obwohl solche in der 10-Pfund-Kategorie (4,5 kg) im Alltag häufiger zu finden sind. Ein erwachsener Mensch (ohne Rückenprobleme) kann einen 20-Pfund-Hammer schwingen, wenn auch nur für begrenzte Zeit. […] Also – wer oder was hätte diesen Knochenjob mit einem 64-Pfünder ausüben können? Erhöhen wir einmal die Körpergröße der damaligen Menschen auf Proportionen, die sie in die Lage versetzen würden, so ein Werkzeug zu benutzen. Dann müssen die Arbeiter in der Kupfermine Riesen gewesen sein – vielleicht 3,70 m bis 5,50 m groß, etwa dreimal größer als ein heutiger Durchschnittsmensch.“[6]

Die Existenz der überdimensionierten Hämmer wird in den archäologischen Publikationen bestätigt – nur über ihre Deutung lässt sich streiten. Lassen wir uns auf das Gedankenspiel ein: Kommen tatsächlich nur Riesen als Nutzer solch schwerer Werkzeuge in Betracht?

So stellt T. Twietmeyer (2008) sich die Riesenhämmer vor.

Überdimensionierte Waffen und Werkzeuge sind im archäologischen Befund kein Einzelfall und werden regelmäßig von Befürwortern der Riesenthese herangezogen. Solche Objekte allein verraten natürlich nicht mit absoluter Sicherheit, von wem mit welcher Körpergröße sie einst verwendet werden – derartige Spekulationen basieren folglich allenfalls auf Erwägungen zur Plausibilität. Die Hämmer aus der Great-Orme-Mine jedoch erlauben nähere Aussagen zur Verwendung: Abnutzungsspuren belegen hier, dass die meisten der Steine tatsächlich genutzt wurden, was etwa eine Deponierung als bloßes „Kultobjekt“ ausschließt.[7] Anhand von Bearbeitungsspuren lässt sich teilweise auf die Art Nutzung schließen, wie Andrew Lewis in seiner Abschlussarbeit über die Great-Orme-Mine erläutert:

“A few (~5%) of the tools exhibited signs of modification to aid with hafting for handles or supportive slings. Where modification was observed it normally consisted of light nicking or pecking on either side of the midriff, or in exceptional cases, shallow grooving to the same positions (figures 29g, 30g). Modified hammers from the surface spoil deposits tend to be around 3kg in weight. No hammers with continuous grooving are known from the site. In the case of the large hammers or pounders, even though no signs of modification are present, it would have been difficult to handle such large tools and therefore some type of sling arrangement is likely to have been fitted, perhaps used in a similar fashion to the modern day ‘demolition hammer’.[8]

Funde aus der Great-Orme-Mine: Gefäß, Kupfererz und Steinhämmer (Nilfanion, CC BY-SA 4.0)

Nur ein kleiner Teil der Hammersteine zeigt Modifikationen zur Befestigung an Stielen oder Schlingen, darunter jedoch keiner der überdimensionierten Hämmer. Wie auf den Bildern zu sehen, handelt es sich überwiegend um bloße Steine, nicht um zugerichtete Werkzeuge. Der Vergleich mit einem heutigen geschäfteten Hammer, wie er von Twietmeyer skizziert wird, entspricht also nicht den tatsächlichen Funden und entbehrt damit jeder Grundlage. Umso bezeichnender ist es, dass in dem pseudowissenschaftlichen Artikel keine Fotos der beschriebenen Hammersteine selbst gezeigt werden.       
Vielmehr, so die Annahme von Lewis, könnten die großen Steine in einer Schlingenvorrichtung ähnlich modernen Abrissbirnen verwendet worden sein. Dabei ließe sich allerdings auch ein großer Stein von einer kleinen Person bewegen, auch eine Beteiligung mehrerer Menschen beim Schwingen wäre denkbar.  Ein Anheben, Ausholen und Zuschlagen mit bloßer Muskelkraft eines Einzelnen wäre dagegen nicht notwendig.  
Diese banale Erklärung einer sinnvollen Verwendung der Hammersteine kommt ohne eine hypothetische Riesenrasse aus, die ohne weitere Belege ohnehin eine reichlich gewagte Hypothese zur Erklärung des Befundes wäre.

Fazit

Der Artikel von Ted Twietmeyer steht nur exemplarisch für ein ganzes Genre vulgär-archäologischer Parawissenschaft, die sich durch ignorante Unkenntnis realer Zusammenhänge auszeichnet. Aus der oberflächlichen Betrachtung antiker Befunde werden gewagte Thesen konstruiert, die bereits mit nur wenig tiefer gehenden Sachkenntnissen und logischen Überlegungen nicht mehr vereinbar sind: Hammersteine, die aufgrund ihrer Bearbeitung nicht zum Einsatz vergleichbar modernen Hämmern geeignet waren, werden in Wort und Bild selbstverständlich als solche dargestellt, eine auf der Hand liegende alternative Anwendung nicht erwogen.        
Tatsächlich erreicht doch die Behauptung Twietmeyers, es müssten „die Arbeiter in der Kupfermine Riesen gewesen sein“, fast den Rang von Satire: Schließlich sind viele Tunnel der Great-Orme-Mine extrem schmal, teilweise nur 20 cm breit – kaum zugänglich für normalgroße Erwachsene, unmöglich für noch größere Individuen. Funde besonders kleiner Werkzeuge in diesen schmalen Bereichen der Great-Orme-Mine legen vielmehr nahe, dass man bereits in der Bronzezeit bevorzugt kleine Erwachsene oder Kinder zur Minenarbeit einsetzte, wie man es auch aus jüngerer Vergangenheit kennt.[9] Riesen wären aus offensichtlichen Gründen die letzten Personen gewesen, die man im vorzeitlichen Bergbau beschäftigt hätte.   
Nicht umsonst haben Mythen und Sagen längst das Bild einer ganz anderen perfekten Bergbaurasse geprägt: Es sind nicht Riesen, sondern Zwerge.

Artikel zuerst erschienen 2020 und 2021 unter dem Titel „Steine für Giganten (1/3): Die Riesenhämmer von Great Orme“; überarbeitet 2022.


[1] Twietmeyer, T. 2008: Riesenmenschen wandelten auf der Erde. Nexus-Magazin 17 (Kopie bei Atlantisforschung.de).

[2] Ted Twietmeyer: There Were Giants in the Earth in Those Days: Evidence Of Giants Who Walked The Earth…..Page 25
Ted Twietmeyer: Evidence Of Giants Who Walked The Earth.

[3] Greater Ancestor World Museum (28.04.2011): Who could have weilded a 64lb Hammer?

[4] James, S. 2016: Digging into the darkness: the experience of copper mining in the Great Orme, North Wales, in: M. Dowd / R. Hensey (Hg.), The Archaeology of Darkness. Oxbow Books, Oxford/Philadelphia, 75–83 (76). Twietmeyer bezieht sich mit einer Angabe von 6 km Länge und über 2.500 Hämmern womöglich auf eine ältere Quelle.

[5] Lewis, C. A. 1996: Prehistoric Mining at the Great Orme. Criteria for the identification of early mining. University of Wales, Bangor, 118: „The most common (90-95%) implement from the site are unmodified generally ovoid shaped pebble, cobble and boulder sized beach derived stones, typically they are described as hammers, mauls, pounders and crushers. They vary greatly in size and shape from some of 50mm long, 0.25 kg in weight to others up to 400mm long and weighing 29kg (64lbs).”

[6] Twietmeyer 2008.

[7] Lewis 1996, 118.

[8] Lewis 1996, 118 f.

[9] James 2016, 79.