Wiedergänger im Alten Ägypten

Lebende Mumien sind uns aus der Populärkultur genauso vertraut wie Vampire, Werwölfe und Zombies. Doch gibt es dafür irgendeine historische Grundlage? Zwar ist die wandelnde Mumie am Ende ein Produkt der Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts – im echten Alten Ägypten aber scheinen ganz andere Untote ihr Unwesen getrieben zu haben …

Die lebende Mumie in der Populärkultur

Das 19. Jahrhundert war in Europa eine Zeit der Ägyptenbegeisterung: Bereits Napoleon hatte sich bei seinem Ägyptenfeldzug von einer Heerschar von Gelehrten begleiten lassen, die das Land am Nil kartographierten und in Bild und Text dokumentierten. Aus diesen Materialien entstand in den folgenden Jahren die 23-bändige Description de l’Égypte („Beschreibung Ägyptens“), mit der Natur, Gesellschaft und vor allem die Altertümer Ägyptens erstmalig breiten Bevölkerungskreisen Frankreichs bekannt wurden. 1822 gelang dem Franzosen Jean-François Champollion mithilfe des Rosetta-Steins erstmalig die Entzifferung der Hieroglyphen, was die Tür zu den bislang unverständlichen Schriftzeugnissen der alten Ägypter öffnete. Fortan herrschte in den elitären Kreisen Europas Ägyptomanie: Reiche und Adlige legten Sammlungen ägyptischer Altertümer an, die Museen Europas wetteiferten um die beeindruckendsten Schaustücke und zum allgemeinen Vergnügen wurden öffentlich Mumien ausgewickelt.     
In diese Zeit fällt auch die erste Geschichte über eine Mumie, die von den Toten aufersteht: 1827 veröffentlichte die nur zwanzigjährige Britin Jane Webb (nach ihrer Hochzeit Jane Loudon) in drei Teilen den futuristischen Roman The Mummy!: Or a Tale of the Twenty-Second Century. Mithilfe einer galvanischen Batterie (der Einfluss des vier Jahre zuvor erschienenen Frankenstein ist unverkennbar) erwacht der Pharao Cheops wieder zum Leben – ausgerechnet in der Zukunft des 22. Jahrhunderts, in dem England erneut von einer katholischen Monarchin regiert wird. Der Roman ist keine Horrorgeschichte über eine mordende Mumie, sondern vielmehr ein Pionierwerk der Science-Fiction mit einem nur allzu zivilisierten Protagonisten.

Jane Wells Webb Loudon, Autorin von The Mummy!: Or a Tale of the Twenty-Second Century (1827)

Die folgenden Jahrzehnte brachten eine Vielzahl von Mumien-Geschichten hervor: Ganz ähnlich wie Loudon benutzte auch Edgar Allan Poe die Idee in seiner Kurzgeschichte Gespräch mit einer Mumie (1845) als Vehikel der zeitgenössischen Sozialkritik, wenn er seinen Protagonisten mit einer wiedererweckten Mumie über die Überlegenheit der verschiedenen Kulturen diskutieren lässt. Von Théophile Gautier stammen die groteske Kurzgeschichte Der Mumienfuß (1840) sowie Der Roman der Mumie (1858). In seinem weniger bekannten Roman The Jewel of Seven Stars ließ schließlich auch Dracula-Autor Bram Stoker 1903 die Mumie der ägyptischen Königin Tera wiederauferstehen.

Keine dieser Erzählungen hinterließ jedoch einen solch bleibenden Eindruck in der Populärkultur wie der Film Die Mumie (Regie: Karl Freund) von 1932. Horror-Ikone Boris Karloff, zu diesem Zeitpunkt bereits durch seine Darstellung von Frankensteins Monster berühmt, verkörperte den Priester Imhotep, der durch einen altägyptischen Zauberspruch vom Tode aufersteht. Als eines der berühmten „Universal-Monster“ zog der Film eine Vielzahl indirekter Fortsetzungen nach sich, darunter vier mit Lon Chaney als Mumie Kharis (1940–1944) sowie die Parodie Abbott und Costello Meet the Mummy (1955).   
Die folgenden Jahrzehnte brachten eine ungezählte Zahl meist zweitklassiger Mumienfilme mit sich, auch in der Literatur und allen anderen Gattungen der Populärkultur hatte sich die Mumie längst als beständiger Topos etabliert. Zum Blockbuster wurde das Thema ein weiteres Mal mit der Neuinterpretation des Universal-Klassikers Die Mumie (1999, Regie: Stephen Sommers) mit Brendan Fraser und Arnold Vosloo als Mumie Imhotep, der zwei Fortsetzungen (Die Mumie kehrt zurück, 2001 und Die Mumie: Das Grabmal des Drachenkaisers, 2008) sowie die B-Movie-Spinoff-Reihe The Scorpion King nach sich zog. Ein weiteres Reboot – Die Mumie (2017, Regie: Alex Kurtzman) mit Tom Cruise und Sofia Boutella als Mumie Ahmanet – konnte aus verschiedenen Gründen nicht an den Erfolg anknüpfen.

Filmplakate zu Die Mumie (1932) und Die Mumie (1999)

Heute ist die untote Mumie aus der Populärkultur nicht mehr wegzudenken – neben Vampir, Werwolf, Zombie und Frankensteins Monster gehört sie zu den Archetypen des Grusels, die weit über das eigentliche Horror-Genre hinweg in allen Mediengattungen etabliert und bekannt sind. Wie der Vampir Inbegriff der gotischen Schauerromantik von Friedhof, Nacht und alten Schlössern ist, so verkörpert die Mumie das romantisierte Bild des Alten Ägyptens als Hort von Magie, Mysterien und dem Verwischen der Grenze zwischen Leben und Tod.            
Doch hat dieses Klischee irgendeine Grundlage in der tatsächlichen Geschichte? Gab es im Alten Ägypten die Vorstellung von Toten, die wieder zum Leben erwachen, gar von wandelnden Mumien, die den Menschen nach dem Leben trachten?

Der Hügel der Auferstehung

In der Nähe von Kairo sollen sich zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert rätselhafte Dinge ereignet haben. Als erster westlicher Reisender berichtete B. de Breydenbach im Jahr 1483 von einem makaberen Schauspiel, das sich alljährlich auf einem alten Friedhof nahe der ägyptischen Hauptstadt abspielen soll:

„Nachdem wir die ganze Stadt Kairo (vom Gipfel des Mokattam) betrachtet hatten, schauten wir auf den Nil, der nun das ganze Land mit seinen überfließenden Wassern bedeckte, und der größte Teil der Stadt schien unter Wasser zu stehen…… In der Ferne sahen wir am Ufer eine Moschee inmitten eines Friedhofs. Uns wurde gesagt, dass am Patronatsfest des Heiligen, zu dessen Ehren er erbaut wurde, alle Toten, die auf diesem Friedhof bestattet wurden, den ganzen Tag über aus ihren Gräbern herauskamen, regungslos und ohne Gefühle vor aller Augen verharrten und, wenn die Feierlichkeit vorbei war, in ihre Gräber zurückkehrten. Das Phänomen, so sagten sie, wiederholt sich jedes Jahr, und es gibt keinen Erwachsenen in Kairo, der es nicht kennt. Kein Zweifel, dass es sich hierbei um einen teuflischen Betrug handelt.“[1]

Fast einhundert Jahre später (1579) erwähnt Carlier de Pinon dasselbe Phänomen erneut – doch beschreibt er keinen alten Friedhof, sondern einen „sandigen Hügel“ am linken Nilufer. „Wenn man dreißig oder vierzig Schritte vorwärts gegangen ist, sieht man dort, wenn man sich umdreht, liegt ein ganzer Körper, ein Arm, ein Bein oder ein Kopf eines Toten auf der Erde. Sie waren nicht so geordnet, wie es im Land üblich ist, sie zu begraben.“[2]    
Über diesen „Hügel der Auferstehung“ schreibt auch S. Jean Palerne 1581: „In der Nähe der großen Pyramiden von Giza sieht man auf einem Hügel etwas sehr Bewundernswertes und Erstaunliches, wie uns die Einheimischen versicherten. An diesem Tag sieht man eine Unzahl von Händen, Armen und Beinen aus der Erde kommen und erscheinen.“[3]      
Ähnliches berichten auch mehrere andere Ägyptenreisende, die von dem unheimlichen Phänomen erfuhren. All diese Quellen wurden von Serge Sauneron 1971 in seinem Artikel für den Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale (in französischer Sprache) gesammelt. Ein besonders ausführlicher Bericht stammt von dem französischen Besucher Jean de Thévenot aus dem Jahr 1727:

„In der Nähe von Alt-Kairo, am Ufer des Flusses, gibt es einen großen Friedhof. Dort sind viele tote Körper begraben; alle Einwohner Kairos, sowohl Kopten als auch Griechen, als auch Türken und Mohren, halten es für sicher, dass am Mittwoch, Donnerstag und Karfreitag die Toten dort auferstehen, wenn man dem alten Kalender folgt, nicht weil die Toten auf dem Friedhof herumlaufen, sondern weil ihre Knochen an diesen drei Tagen aus der Erde ragen und nach Ablauf der drei Tage wieder in die Erde zurückkehren. Ich ging am Karfreitag der Griechen und anderer Christen, die dem alten Kalender folgen, auf den Friedhof, um zu sehen, wie ihr Glaube begründet ist, und war erstaunt, dass ich dort so viele Menschen wie auf einem Jahrmarkt fand. Die Türken gehen in einer Prozession mit all ihren Bannern dorthin, weil sie dort einen Scheich begraben haben, dessen Gebeine, wie sie sagen, jedes Jahr wie die anderen herauskommen, und sie gehen dorthin, um mit großer Andacht zu beten. Als ich dort ankam, sah ich hier und da ein paar Köpfe und Knochen, und jeder sagte mir, dass das alles gerade aus der Erde gekommen sei; und sie sind in diesem Glauben so fest, dass es unmöglich ist, ihn ihnen zu nehmen; denn ich sprach mit Leuten, die mehr Verstand zu haben schienen als die anderen, und sie versicherten mir, dass es wahr sei, und dass, wenn man sich an einen Ort stellt, wo die Erde gut zusammenhält, während man auf eine Seite schaut, Knochen aus einer anderen Seite herauskommen, die nur zwei Schritte von einem entfernt ist.“[4]

Für dieses alljährliche Wunder, das sich über mehrere Jahrhunderte hinweg regelmäßig wiederholte, scheint es unzählige Zeugen zu geben. Unter den Einheimischen aller Bevölkerungsgruppen – so stellen es zumindest die europäischen Berichte dar – scheint das Phänomen offenbar allgemein bekannt und unzweifelhaft gewesen zu sein.    
Doch unweigerlich weckte die Auferstehung der Toten auch das Misstrauen von Skeptikern, die dahinter einen großen Betrug vermuteten. So berichtet Puis Sandys in seiner Reisebeschreibung aus dem Jahr 1673:

 „A day or two after, we crossed the Nilus. Three miles beyond on the left hand left we the place, where upon Good Friday, the Arms and Legs of a number of men appear stretched forth of the earth, to the astonishment of the multitude. This I have heard confirmed by Christians, Mahometans, and Jews, as seen upon their several Faiths. An imposture, perhaps contrived by the Water-men, who fetching them from the Mummes (whereof there are an un-consumable number) and keeping the mystery in their Families, do stick them over-night in the sand, obtaining thereby the yearly Ferrying over of many thousands of Passengers.“[5]

Seiner Vermutung nach waren also die lokalen Bootsleute für das vermeintliche Wunder verantwortlich, indem sie über Nacht Überreste von Mumien aus den nahegelegenen Nekropolen auf dem heiligen Platze deponierten. So konnten sie jedes Jahr tausende von neugierigen Besuchern kostenpflichtig über den Nil setzen.      
Von solchen makabren Täuschungen hörte auch Enfin Greaves 1663: „Ein Franzose, der sich zur Zeit dieser angeblichen Auferstehung in Kairo befand, berichtete mir: Als er sich zufällig umdrehte, sah er einen Ägypter, der Knochen unter seiner Jacke trug, und entdeckte dadurch das Mysterium.“[6]                
Demnach scheint es sich bei dem Spuk um einen simplen Betrug zu handeln, der erfolgreich zahlreiche Gläubige und Touristen anlockte. Ob das unheimliche Schauspiel tatsächlich über mehrere hundert Jahre von derselben Gruppe inszeniert wurde, wird sich wahrscheinlich nicht mehr feststellen lassen. Da das Phänomen an dieser Stelle nur aus der Sicht europäischer Beobachter beschrieben wurde, dürfte auch die Suche nach einheimischen Quellen ein lohnendes Projekt darstellen. Auf jeden Fall liegt mit dem alten Friedhof bei Kairo oder „Hügel der Auferstehung“ das vielleicht früheste Beispiel der Neuzeit für vermeintlich lebende Mumien vor. Doch gab es vergleichbare Vorstellungen auch schon im antiken Ägypten?

Die Geschichte von Chonsemḥab und dem Geist

Die Mumifizierung mag auf heutige westliche Betrachter unheimlich und geheimnisvoll wirken. Für die Ägypter jedoch war sie die selbstverständliche Grundlage für das Weiterleben der Seele im Jenseits – eine pietätvolle Behandlung der Toten, die nichts Gruseliges oder Bedrohliches an sich hatte. Nur so konnten sich in der Vorstellung der Ägypter die Seelenteile Ba und Ka zum Ach, dem auferstandenen Verstorbenen im Totenreich, vereinigen.         
Tatsächlich ist nicht eine antike Schriftquelle überliefert, die explizit eine körperliche Auferstehung von Mumien beschreibt. Die Vorstellung von Verstorbenen, die aus diesen oder jenen Gründen ins Diesseits zurückkehren, gab es aber sehr wohl.          
Zu den bekanntesten ägyptischen Quellen für ein solches Ereignis gehört die Geschichte von Chonsemḥab und dem Geist. Diese Erzählung in neuägyptischer Sprache entstand wohl im Neuen Reich und ist ausschließlich auf einer Reihe von Scherben überliefert, die einst zu großen Tonkrügen gehörten. Der Anfang und das Ende des Textes sind nicht erhalten, sodass weder die Einleitung noch der Ausgang der Handlung bekannt sind.      
So startet der Text mitten in der Handlung: Anscheind hat Chonsemḥab, der Hohepriester des Reichsgottes Amun von Theben, soeben von der Existenz eines Geistes erfahren. Mit einem Gebet an die Götter ruft er diesen zu sich und fragt ihn nach seinem Namen. Der Tote stellt sich ihm als Nwt-bw-smḫ vor, einst der Schatzhausvorsteher und stellvertretende Heerführer des Königs Mentuhotep II. Doch sein einst prächtiges Grabmal, so klagt der Geist, ist inzwischen verfallen und für ihn selbst unerreichbar. Ohne seine Totenopfer aber muss er nun Hunger und Durst leiden, während er ruhelos durch die Welt wandelt.
Chonsemḥab aber zeigt sich hilfsbereit: Er bietet dem Toten an, sein Grab wieder herzustellen, einen kostbaren Sarg aus Gold und Zizyphus-Holz fertigen zu lassen und einen Totenkult mit zehn Sklaven einzurichten, der den Verstorbenen im Jenseits für immer mit Wasser und Nahrung versorgen soll.           
Nwt-bw-smḥ aber bleibt misstrauisch – schon mehrfach wurde ihm solches versprochen und nicht eingehalten. Chonsemḥab aber schickt drei Männer los, um das Grab des Toten zu suchen. Sie finden es schließlich am Aufweg nach Deir el-Baḫari, wo die Gräber vieler hoher Beamter liegen. Zufrieden mit dieser Nachricht, feiert Chonsemḥab mit den Gefährten und beauftragt seinen Stellvertreter am Tempel damit, die Erneuerung des Grabes in Angriff zu nehmen. Das Ende des Textes fehlt, doch scheint den Bedürfnissen des Geistes genüge getan zu sein.[7]
Die Geschichte von Chonsemḥab und dem Geist ist unter den erhaltenen Quellen einzigartig – der Glaube an Totengeister aber war in der ägyptischen Kultur weit verbreitet.

Gefährliche Tote

Wie die meisten antiken Völker glaubten die Ägypter nicht nur an ein Weiterleben nach dem Tod, sondern auch an eine Wirksamkeit in der diesseitigen Welt über den Tod hinaus – im guten wie im negativen Sinne. Auch wenn manche Forscher wie etwa Jan Assmann davon ausgehen, dass dass „solche Ängste nur eine ganz geringe Rolle“ in Ägypten spielten (die wenigen schriftlichen Erwähnungen seien „Ausnahmen, die die Regel nur bestätigen, späte Zeugnisse, die auf babylonischen Einfluß weisen“[8]), so finden sich doch bei näherer Betrachtung zahlreiche Quellen für diese Vorstellung.       
Die sogenannten Briefe an Tote etwa stellen Bitten der Lebenden an ihre verstorbenen Verwandten dar, zu ihren Gunsten in die Welt einzugreifen. Neben diesen gewogenen Totengeistern scheint es jedoch auch feindselige Tote gegeben zu haben: Diese schlagen und packen den Lebenden, dringen mit ihrem „Samen-Gift“ in seine Körperöffnungen ein und verursachen Krankheiten, bisweilen laden sie die Hinterbliebenen selbst vor das Totengericht. So erwähnt etwa der medizinische Papyrus Edwin Smith unter gefährlichen Diagnosen auch: „Etwas, das von außen eintritt. Das ist: der Hauch eines Gottes von außen oder eines Toten“[9].
Gegen solcherlei Bedrohungen sollten allerlei Amulette, Heilmittel und Beschwörungen schützen.  Nicht nur die eigenen, gewogenen Toten, sondern auch der Sonnengott selbst wurden um die Abwehr der gefährlichen Toten ersucht.[10]         
Eine Gruppe von Menschen galt jedoch als ganz besonders prädestiniert für den Zorn der Toten: Grabschänder. Inschriften drohen all jenen, die es wagen, das Grab zu berauben oder zu zerstören, mit der drohenden Vergeltung des Toten. So finden sich im Grab des Nenki in Sakkara und dem Grab des Tjetu in Gizeh folgende Warnungen an Grabschänder:

“[…] With regard to any noble, any official or any man who shall remove any stone or any brick from this tomb of mine, I shall be judged with him by the Great God. I shall seize his neck like a bird’s; I shall place fear (among) all the living upon earth on behalf of the akhs who are in the West and are far away from them. […]”[11]

“[…] With regard to any man who shall take or who shall remove stones or bricks which form part of this tomb of mine, I shall be judged (with him) in the tribunal of the Great God; I shall make an end for him on account of this matter, and I shall see life (again[?]) on earth. […]”[12]

In einer anderen Fluchformel aus dem Alten Reich heißt es mit Bezug auf die Grabschänder: „Ich werde ihre Angehörigen auf Erden und ihre Häuser auf Erden vernichten.“[13] Weitere Belege für eine solche Totenfurcht finden sich in den Korpora der Pyramiden- und Sargtexte sowie den Ächtungstexten.[14]
Die meisten der Schriftquellen scheinen sich auf körperlose Totengeister zu beziehen, die etwa für Krankheiten verantwortlich gemacht wurden. Die letztgenannte Fluchinschrift deutet jedoch an, dass auch eine körperliche Wiederkehr („I shall see life on earth“) ernsthaft in Betracht gezogen wurde. Näher spezifizieren die Texte diese Vorstellungen nicht – doch an dieser Stelle kommt die Archäologie ins Spiel.

Wiedergänger-Bestattungen in Europa

Aus modernen Vampirgeschichten ebenso wie aus historischen Quellen kennen wir Abwehrmaßnahmen, die von Menschen gegen mutmaßliche Untote ergriffen wurden: Die Körper der Toten wurden im Grab enthauptet, gepfählt, mit Steinen beschwert, mit einem Gegenstand im Mund vom Kauen („Nachzehren“) abgehalten oder gleich präventiv in Bauchlage beerdigt. Manche dieser Praktiken, um Tote an der Wiederkehr zu hindern, sind auch heute noch archäologisch gut nachweisbar.    
So wurde etwa 2013 im Raum der ehemaligen Kirche am Jellenbek bei Krusendorf (Kr. Rendsburg-Eckernförde, SH) das Grab eines etwa einjährigen Kindes aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Dem Skelett war ein kantiger Stein zwischen die Zähne geklemmt, eine grünliche Verfärbung des Unterkiefers deutete zudem auf eine in den Mund gelegte Münze hin.[15] Verschiedene weitere Funde aus Norddeutschland beschreiben Wehner/Grüneberg-Wehner (2014):

„Von der Klostergrabung in Ribnitz-Damgarten im Lkr. Vorpommern-Rügen stammt ein Toter mit durchnageltem Fuß. Eine Bestattung mit über den Kopf gestülpter Schüssel und Nagel in der Fußgegend ist vom Beginenhof in Neubrandenburg, Kr. Mecklenburgische Seenplatte, bekannt und in Straußberg, Kr. Märkisch-Oderland, bestattete man auf dem Friedhof des Dominikanerklosters einen Rumpf samt auf dem Rücken liegender Arme […]. In der „Alten Kirche“ in Ladbergen, Kr. Steinfurt, legte man einen schweren Stein auf die Brust eines Verstorbenen. […] Im Kreuzgang des Benediktinerklosters Harsefeld fand sich ein Individuum mit schwerem Findling auf dem Kopf, ein weiteres hatte man sekundär in Bauchlage bestattet“[16]

Mehrere Beispiele aus dem westslawischen Raum des 11. bis 13. Jahrhunderts beschreibt Grenz 1967: Auch hier finden sich wiederholt mit Steinen beschwerte Skelette oder Objekte, die den Toten in den Mund gelegt wurden. In zwei Fällen war sogar ein Eisennagel durch den Schädel getrieben worden. In der Archäologie Mitteleuropas sind derartige Beispiele zahlreich. Eine populärwissenschaftliche Einführung in das Thema bietet das Buch Geköpft und gepfählt: Archäologen auf der Jagd nach den Untoten von Angelika Franz und Daniel Nösler.
Weit weniger bekannt ist dagegen, dass ganz ähnliche Fälle von „irregulären Bestattungen“ auch aus dem Alten Ägypten vorliegen.

Das Rätsel der zerstückelten Skelette

Deshashesh 1 (Altes Reich): Disartikulierte Bestattung, von Petrie als absichtliche Zerstückelung interpretiert (Kohse 2019, 42 / Nr. 054)

Bei Ausgrabungen von Gräberfeldern stießen Archäologen bereits im 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf ungewöhnliche Bestattungen: Einige Skelette aus der prädynastischen Naqada-Kultur (um 4000 v. Chr.) waren bereits vor der Bestattung in ihre Einzelteile zergliedert worden, die teils getrennt voneinander oder zu Haufen aufgeschichtet begesetzt wurden.  Während der berühmte Ägyptologe M. W. Flinders Petrie diese schaurigen Funde für die Überreste kannibalistischer Praktiken hielt, schlug der Vorsitzende der ägyptischen Altertümerbehörde Gaston Maspero bereits 1915 eine alternative Deutung vor:

„Da man anfangs befürchtete, dass der Tote ein furchterregendes Wesen war, das auf seine Angehörigen und deren Glück auf der Erde eifersüchtig war, ließ man sich offenbar die sichersten Mittel einfallen, um ihn daran zu hindern, in das Haus zurückzukehren, das er verlassen hatte, und dort seine Angehörigen zu quälen. Da das Leben aus der Verbindung von Seele und Körper entstand und mit der Trennung dieser beiden Elemente endete, bestand das erste und wirksamste Mittel darin, ihre Wiedervereinigung zu verhindern. Wenn sie getrennt wurden, konnte sich das Individuum, das sie zusammengesetzt hatten, nicht wieder so zusammensetzen, wie es vor der Beerdigung gewesen war, und blieb an den Ort gebunden, an dem seine Überreste vergraben worden waren. Die ältesten Gräber zeigen uns, wie man ihn dort einsperrte und unschädlich machte, ohne seine Vernichtung zu riskieren. Man begrub mit ihm ein Mobiliar aus Töpferwaren, Waffen, Werkzeugen, Kleidung und Vorräten, die ihn mit dem Nötigsten versorgten und ihn so einigermaßen am Leben hielten, aber man zerstückelte sein Skelett auf verschiedene Weise, nachdem man es künstlich oder durch Fäulnis ausgemergelt hatte, oder man schlug ihm den Kopf ab und begrub ihn separat: Wie hätte er, verrenkt oder zerstückelt, in die Familienwohnung zurückkehren können?“[17]

Durchzusetzen vermochte sich dieser Ansatz jedoch nicht. Alfred Hermann deutete das „Zergliedern und Zusammenfügen“ 1956 als kultische Praxis im Sinne einer Apotheose des Verstorbenen, die an den Osiris-Mythos angelehnt sei.[18] Davon abgesehen fanden die ungewöhnlichen Funde in der ägyptologischen Forschung kaum Beachtung. Dies ist nicht allzu verwunderlich. Bis heute beschäftigt sich die Ägyptologie vor allem mit den spektakulären Zeugnissen der ägyptischen Elitenkultur: Mumien, prächtige Grabmäler und Grabbeigaben, Tempel und andere steinerne Monumente sowie nicht zuletzt die Papyri, Ostraka und Inschriften als schriftliche Quellen über Leben und Glauben der Ägypter. Weniger im Fokus standen dagegen meist die Bestattungen der einfachen Bevölkerung, die ohne aufwendige Mumifizierung und prächtige Grabbauten in Gräberfeldern erfolgten. Genau dort aber finden sich die rätselhaften Sonderbestattungen.         
Stephan Seidlmayer wies 2003 auf die Existenz entsprechender Funde im Gräberfeld von Elephantine hin und legte eine nähere Aufarbeitung nahe.[19] Zur Verwirklichung dieses Desiderats kam es jedoch erst einige Jahre später in einer Arbeit, die Seidlmayer selbst als Doktorvater betreute.

Naga ed-Deir N 7595 (Naq IIA): Das Skelett war mit schweren Steinen beschwert, der Schädel umgewendet. (Kohse 2019, 123 f / Nr. 167)

Irreguläre Bestattungen in Ägypten

Erstmalig in größerem Umfang widmete sich die Forscherin Antje Kohse dem Phänomen in ihrer 2019 online erschienenen Dissertation mit dem Titel Irreguläre Bestattungen im Alten Ägypten. Eine Studie zu Sonderfällen im Bestattungsbrauch.          
Hierbei wurden Bestattungen auf Friedhöfen – d.h. unter Ausschluss reicher Gräber sowie Siedlungsbestattungen – von der vordynastischen Badari-Zeit (ca. 4400 v. Chr.) bis zum Ende des Mittleren Reiches (1760 v. Chr.) auf von der jeweiligen Norm abweichende Bestattungsformen untersucht. Als Quellen dienten vor allem publizierte Gräberfelder, häufig Altgrabungen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, sowie die unpublizierte Aufarbeitung des Gräberfeldes von Elephantine durch Prof. Stephan Seidlmayer. Dabei kamen unter tausenden von Gräbern insgesamt 272 abnorme Bestattungen zutage, die sich auf 20 verschiedene Orte aus einem Zeitraum von 2750 Jahren verteilen.          
Diese unterteilte Kohse in verschiedene Kategorien: „Abweichungen im Grabbau“ (u.a. Beschwerung mit Steinen, besonders tiefe oder flache Gräber), „Abweichende Orientierung des Leichnams“ (um mindestens 90° gegenüber der herkömmlichen Ausrichtung), „Abweichende Positionierung des Leichnams“ (z.B. ventrale Lage, abweichende Arm- oder Beinhaltung), „Manipulationen am Leichnam bzw. Skelett“ (z.B. Abtrennung und/oder Dislozierung einzelner Körperteile), „Grab ohne Leichnam“ (Kenotaphe/Scheingräber) sowie „Sonstige Abweichungen“ (z.B. Fesselung des Toten, um die Bestattung herum eingeschlagene Pflöcke, Auffüllung des Sarges mit Sand oder Asche). Hinzu kommen Fälle von Sekundär- und Teilbestattungen.[20]

Gerzeh 123 (Naq. IIC–IID2): Der untere Teil der Wirbelsäule fehlte. (Kohse 2019, 8 / Nr. 005)

Somit zeigt sich eine Vielzahl verschiedener Abweichungen vom herkömmlichen Bestattungsbrauch. Diese kommen jeweils selten im Verhältnis zur absoluten Zahl der Gräber jedes Fundplatzes, aber konstant über den gesamten Untersuchungsraum verteilt vor. Während sich bei bestimmten Arten irregulärer Betattungen über den Zweck nur spekulieren lässt (z.B.  zwei mit Asche gefüllte Särge in Matmar), gleichen andere bemerkenswert jenen Praktiken, die wir aus Europa zur Abwehr von Wiedergängern kennen:

„Entsprechend deutliche Belege fur eine Beschwerung oder Fixierung der Verstorbenen mit Steinen stammen beispielsweise aus Matmar Cem. 2300, iv und Grab 2302, Qau, Grab 671, Naga ed-Deir N 7595, Mahasna, H 29 sowie Elephantine EF 100. Hier kamen entweder große Steine direkt auf den Leichnamen zum Einsatz oder die Grabgrube wurde mit Steinen aufgefüllt. Eine ventrale Lage, die ebenfalls als wahrscheinliche Maßnahme zur Verhinderung der Wiederkehr der Verstorbenen herausgestellt wurde, kann zweifelsfrei auf der Qubbet el-Hawa 89/202 und in Balat (Grabkammer Ima-Pepi; Komplex des Khentika, Grab 122) nachgewiesen werden. Bei den Manipulationen am Skelett sind die Befunde aus Badari (Grab 5528), wo der Schädel des Leichnams auf dem Sargdeckel niedergelegt wurde, Naga ed-Deir (N 845), wo der kopflose Leichnam in einem Sarg bestattet wurde, dessen Abmessung fur einen vollständigen Körper keinen Platz geboten hatte, und Hierakonpolis, HK43, burial 147, wo die Schädel der Doppelbestattung jeweils auf den Brustkörben der Verstorbenen positioniert wurden, hervorzuheben. Unter den Sonstigen Abweichungen stechen besonders die Befunde aus Mostagedda, Grab 1640 sowie Elephantine EF 82, EF 85-2F und EF 85-2G hervor, wo um den Verstorbenen herum vor allem im Kopfbereich in den Boden eingeschlagene Holzpflöcke gefunden wurden, und die Bestattungen EF 42 und EF 77 aus Elephantine sowie die Bestattung 35a von der Qubbet el-Hawa, wo die Hand- und teilweise auch die Fußgelenke der Verstorbenen zusammengebunden waren.“[21]

Naga ed-Deir N 7464 (Naq IIB): Schädel und Unterschenkel samt Füßen fehlen.
(Kohse 2019, 117 / Nr. 161)

Kohse deutet diese Maßnahmen entsprechend als Ergebnis einer Furcht vor Wiedergängern: So „können besonders die Abweichungen im Grabbau, die in ventraler Lage bestatteten Individuen, ein Teil der Manipulationen am Skelett sowie die Sonstigen Abweichungen im Hinblick auf eine Totenfurcht interpretiert werden.“[22] „Die Fixierung bzw. Beschwerung des Leichnams sollte letztendlich verhindern, dass der Verstorbene das Grab wieder verlassen kann.“[23]
Besonders drastisch muten dabei verschiedene Formen von Enthauptung an:

„Bei den Bestattungen von neun Individuen wurde der Schädel auf eine Weise disloziert vorgefunden, die nicht durch taphonomische Prozesse oder Störungen erklart werden kann. Dabei befand sich der Schädel in drei Fallen weiterhin in etwa an seiner anatomisch korrekten Position. Bei einem Befund wurde er jedoch auf der Basis stehend aufgefunden. In einem anderen Fall lag er trotz einer dorsalen Bettung des Leichnams auf dem Gesichtsschädel und im dritten Fall war die Schädelkalotte herumgedreht und befand sich mit dem Hinterkopf zur Wirbelsäule. Bei insgesamt sechs Bestattungen wurde der Schädel disloziert und in einer größeren Entfernung zur anatomisch korrekten Position vorgefunden. So befand sich bei einem Individuum der Schädel uber dem Becken, bei einem anderen Individuum lag der Schädel auf einer Anordnung von Keramikgefäßen, die am Ende der Wirbelsäule niedergelegt wurden. Ferner lag der desartikulierte Schädel in zwei Fällen auf dem geschlossenen Sargdeckel und in einem Fall oberhalb der Mattenabdeckung des Leichnams. Im sechsten Fall war der Schädel zur Seite bewegt worden und an seiner Stelle befand sich ein kleines Keramikgefäß. […] Vor allem in Hierakonpolis kann nachgewiesen werden, dass diese Schnittspuren an den Halswirbeln zumindest bei einem Teil der Individuen aufgrund ihrer gravierenden Art als Belege zur Abtrennung des Schädels von Rumpf gedeutet werden müssen. In einigen Fallen wurde der abgetrennte Schädel jedoch wieder an seiner anatomisch korrekten Position niedergelegt. […] Bei sieben Individuen fanden sich fehlende oder dislozierte Schädel sowie vollständig oder teilweise fehlende bzw. gestörte Extremitaten. Bei einem weiteren Individuum fehlten der Schädel und Teile des Beckens. In einem Fall waren lediglich die Extremitäten des Individuums vorhanden.“[24]

Bei der Gruppe der irregulären Bestattungen konnte keine auffällige Korrelation mit bestimmten Alters-, Geschlechts- oder Sozialgruppen festgestellt werden; auch wiederkehrende körperliche Merkmale sind nicht belegt.[25] Jedoch zeigte sich, dass jene Perioden, in denen überproportional viele irreguläre Bestattungen auftreten, mit Zeiten massiver „kultureller und gesellschaftlicher Umbrüche“ zusammenfallen.[26] Dies entspricht ganz dem Befund in Europa: Auch dort blühte die Angst vor Hexen, Wiedergängern und Werwölfen insbesondere in der frühen Neuzeit, als die klimatische Verschlechterung durch die Kleine Eiszeit mit Kriegen und den sozialen Verwerfungen der Reformation zusammentraf.  
Obwohl nicht eigentlicher Gegenstand des Untersuchungszeitraums, bestehen die beschriebenen Praktiken auch noch in späteren Epochen fort:

„Das Phänomen der irregularen Bestattungen endet nicht mit dem Ende des Mittleren Reiches. Entsprechende Befunde konnten beispielsweise in Kom el-Khilgan (Sp.08) aus der 2. Zwischenzeit oder später, wo sich in der linken Seite des Brustkorbes ein Keramikgefäß befand, in Qau (Grab 842) aus der 2. Zwischenzeit, wo trotz vorhandener Füße die Beine fehlten, in Sais aus der Zeit vor der 3. Zwischenzeit, wo der Kopf des Leichnams in einem großen Keramikgefäß steckte, in Zawiyet el-Aryan (Z 27) aus der römischen Zeit, wo der Leichnam ventral bestattet wurde sowie in Abusir (burial I 407/1), ebenfalls aus der römischen Zeit, wo der Thorax mithilfe von zwei hölzernen Pflöcken am Boden fixiert wurde, dokumentiert werden.“[27]

Naga ed-Deir N 705 I (5.–6. Dyn.): Der Schädel lag abgetrennt am Fußende.
(Kohse 2019, 105 / Nr. 149)

Ägypten – Land der lebenden Toten

Auch wenn ganz verschiedene Formen irregulärer Bestattungen zu beobachten sind, so weisen die häufigsten Praktiken wie Verstümmelung, Fesselung und Beschwerung mit Steinen doch ein gemeinsames Muster auf: Sie alle dienten offenbar dazu, den Körper des Toten bewegungsunfähig zu machen. Vor dem Hintergrund vergleichbarer Vorgänge in Europa, vor allem aber der parallelen Schriftzeugnisse aus Ägypten mit Belegen einer Totenfurcht, lassen sich diese Praktiken mit höchster Plausibilität als Vorkehrungen gegen eine körperliche Wiederkehr von Toten deuten. Nicht körperlose Geister, sondern lebende Leichen versuchte man an der Wiederkehr zu hindern.         
Die Details dieses Glaubenssystems sind in den überlieferten Inschriften und Papyri nicht überliefert. Es handelte sich offenbar um Aspekte der „Volksreligion“, die wenig mit dem „offiziellen“ Totenkult und den Jenseitsvorstellungen der Oberschicht zu tun hatte. Vielleicht mag man in der ägyptischen Elite sogar über derlei „Aberglauben“ gespottet haben, ganz wie es in der Hochzeit der „Vampir-Epidemien“ im 18. Jahrhundert der Fall war. Die Flüche gegen Grabräuber deuten jedoch an, dass womöglich auch Teile der gesellschaftlichen Oberschicht ähnlichen Vorstellungen anhingen.

Gerzeh 142 (Naq. IIC–IID2): Der Schädel war mit Sand und Perlen gefüllt worden, ein Großteil der Fußknochen fehlte. (Kohse 2019, 11 / Nr. 008)

Bei den irregulären Bestattungen aus dem Alten Ägypten dürfte es sich nach heutigem Forschungsstand[28] um die früheste sowohl archäologisch als auch schriftlich dokumentierte Untoten-Tradition der Menschheitsgeschichte handeln.      
Die wandelnde Mumie, wie wir sie aus Filmen und Romanen kennen, mag ein Produkt der modernen Ägyptenrezeption sein. Doch allem Anschein nach war das antike Ägypten sehr wohl eine Kultur, in der man in ernsthafter Angst vor gefährlichen Wiedergängern lebte. In ihrem Bedürfnis nach Sicherheit scheuten sich die Ägypter nicht einmal, das Ideal des unvergänglichen Leibes hintanzustellen und die Körper der Verstorbenen zu verstümmeln.

Literatur

Assmann, J. 2001: Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München.

Beckerath, J. von 1992: Zur Geschichte von Chonsemḥab und dem Geist. ZÄS 119, 90–107.

Fischer-Elfert, H.-W. 2005: Abseits von Ma’at. Fallstudien zu Außenseitern im Alten Ägypten. WSA 1, Würzburg.

Franz, A. / Nösler, D. 2016: Geköpft und gepfählt. Archäologen auf der Jagd nach den Untoten, Darmstadt.

Grenz, R. 1967: Archäologische Vampirfunde aus dem westslawischen Siedlungsgebiet. Zeitschrift für Ostforschung 16, 255–265.

Hermann, A. 1956: Zergliedern und Zusammenfügen: Religionsgeschichtliches zur Mumifizierung. Numen 3/2, 81–96.

Kaplony, P. 1986: Totengeist. Lexikon der Ägyptologie 6, 648–656.

Kohse, A. 2019: Irreguläre Bestattungen im Alten Ägypten. Eine Studie zu Sonderfällen im Bestattungsbrauch. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. phil. am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin, Berlin.

Leca, A.-P. 1982: Die Mumien. Zeugen ägyptischer Vergangenheit, Düsseldorf/Wien.

Maspero, G. 19154: Guide du visiteur au Musée du Caire, Kairo.

Nösler, D. 2014: Untote und Bann. Zwei mittelalterliche Wiedergängerbestattungen aus dem Kreuzgang des Benediktinerklosters Harsefeld. Geschichte und Gegenwart 2014, 11–20.

Sauneron, S. 1971: Villes et légendes d’Égypte (§ XXX-XXXIII). BIFAO 69, 43–59.

Seidlmayer, S. J. 2003: Vom Sterben der kleinen Leute. Tod und Bestattung in der sozialen Grundschicht am Ende des Alten Reiches, in: H. Guksch / E. Hofmann – M. Bommas (Hg.), Grab und Totenkult im Alten Ägypten, München, 60–74.

Wehner, D. / Grüneberg-Wehner, K. 2014: Mit Stein im Mund. Ein Fall von Nachzehrerabwehr in der St. Catharinenkirche am Jellenbek, Kr. Rendsburg-Eckernförde? Arkæologi i Slesvig/Arch. Schleswig 15, 55–64.

Siehe auch:
Arthur Weigall: The Malevolence of Ancient Egyptian Spirits
Das Serapeum von Sakkara – Grab heiliger Stiere oder Gefängnis für Monster? (MMM 1)


[1] de Breydenbach, B. 1904: Saintes Pérégrinations, 58; zitiert nach Sauneron 1971, 44 (Üs.: DeepL).

[2] de Pinon, C. 1920: Voyage en Orient, 191; zitiert nach Sauneron 1971, 45 (Üs.: DeepL).

[3] Palerne, S. J. 1606: Pérégrinations du S. Jean Palerne; zitiert nach Sauneron 1971, 45 (Üs.: DeepL).

[4] de Thévenot, J. 1727: Voyages de Mr de Thévenot au Levant II, 458–460; zitiert nach Sauneron 1971, 48 f (Üs.: DeepL).

[5] Sandys, P. 1673: Travels, 99; zitiert nach Sauneron 1971, 47.

[6] Greaves, E. 1663: Relation de divers voyages curieux, xxv; zitiert nach Sauneron 1971, 47 f (Üs.: DeepL).

[7] Die Geschichte findet sich bei von Beckerath 1992.

[8] Assmann 2001, 17.

[9] Fischer-Elfert 2005, 175.

[10] Seidlmayer 2003, 70 / Kaplony 1986.

[11] Üs: Strudwick 2005, 226; zitiert nach Kohse 2019, 236.

[12] Üs. Strudwick 2005, 234; zitiert nach Kohse 2019, 237.

[13] Seidlmayer 2003, 70.

[14] Kohse 2019, 236.

[15] Wehner/Grüneberg-Wehner 2014.

[16] Wehner/Grüneberg-Wehner 2014, 63.

[17] Maspéro 1915, 8 (Üs.: DeepL).

[18] Hermann 1956.

[19] Seidlmayer 2003, 65.

[20] Kohse 2019, 60–63.

[21] Kohse 2019, 234.

[22] Kohse 2019, 234.

[23] Kohse 2019, 217 f.

[24] Kohse 2019, 198 f.

[25] Kohse 2019, 230.

[26] Kohse 2019, 229.

[27] Kohse 2019, 247 f.

[28] Für das antike Mesopotamien – die einzige Kultur neben Ägypten, die bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. umfangreiche Schriftzeugnisse hinterließ – sind derartige Untersuchungen bislang nicht angestellt worden, könnten jedoch durchaus lohnenswert sein.