Die Kontroverse um das Helgoländer Kupfer

Abb. 1: Die „Lange Anna“ auf Helgoland. Der Buntsandstein ist von Kupferadern durchzogen, der schon in der Jungsteinzeit abgebaut und verarbeitet worden sein soll. (Foto: André Kramer)

Der gängigen Geschichtsrekonstruktion zufolge ist die Geschichte der Metallurgie in Nordeuropa während des Neolithikums vor allem eine Geschichte des Imports. Für einen einheimischen Kupferabbau in der Jungsteinzeit sieht man kaum Beweise, was bedeutet, dass die vielen Kupferfunde, unter anderem in den Großsteingräbern, ursprünglich aus Südosteuropa stammen müssen.[1]  
In der alternativen Archäologie wird hingegen schon seit langem auf eine andere Möglichkeit hingewiesen. Auf Helgoland soll schon während der Jungsteinzeit Kupfer abgebaut und verarbeitet worden sein, so wird behauptet.      
Die Kontroverse um das Helgoländer Kupfer wurde vor über 70 Jahren vor allem durch den norddeutschen Pastor Jürgen Spanuth in Gang gebracht, der im Zuge seiner Überzeugung, dass sagenumwobene Atlantis habe sich auf einer untergegangenen Landmasse bei Helgoland befunden, auf den großen Kupferreichtum der Insel hinwies, und sogar von Kupferfunden aus prähistorischer Zeit sprach, die auf Helgoland gemacht worden sein sollen.[2]           
Spanuths Thesen sind bis heute populär und führten sogar zu einer in Kiel herausgegebenen Gegenschrift, in der Schleswig-Holsteiner Wissenschaftler zu Spanuths Behauptungen Stellung beziehen.          
Den Behauptungen Spanuths entgegnete der Geologe Prof. Dr. Wetzel in dieser Schrift:

„Schließlich ist auch das Vorkommen von Kupfermineralien in den Helgoländer Felsschichten mit der Entwicklung jenes hypothetischen Kulturzentrums in Verbindung gebracht worden. Aus Spezialuntersuchungen geht aber hervor, dass selbst beim modernen Stande der Erzausbringung eine Verwertung jenes Kupfergehalts unmöglich ist angesichts der Spärlichkeit und Verteilungsweise der Kupferverbindungen in den Helgoländer Schichten.“[3]

Über die Natur dieser „Spezialuntersuchungen“ verrät Prof. Dr. Wetzel freilich nichts. Und heute lassen sich sowohl im Museum der Insel Helgoland als auch im Schloss Gottorf in Schleswig Kupferfunde besichtigen, die vor der Insel im Meer gefunden wurden.

Der durch ein Däniken-kritisches Buch bekannt gewordene Autor Gerhard Gadow schlug sich auf die Seite von Jürgen Spanuth und äußerste sich positiv zur prähistorischen Verarbeitung der Helgoländer Kupfererze in Nordeuropa.  
Gadow erwähnt, dass bei Tauchgängen auf dem so genannten Steingrund[4] in unmittelbarer Nähe von Helgoland 1971 mehrere Kupferscheiben gefunden wurden, die große Ähnlichkeit mit ähnlichen Funden aus der Bronzezeit hätten.[5]    
Diese Funde existieren tatsächlich und sind ebenfalls im Helgoländer Museum ausgestellt.

Abb. 4/5: Die auf Helgoland gefundenen Scheiben aus Helgoländer Kupfer im Museum Helgoland (Fotos: André Kramer)
Abb. 6: Weitere, vor Helgoland gefundene Kupferscheiben im Archäologischen Landesmuseum im Schloss Gottorf in Schleswig (Foto: André Kramer)

Allerdings hat Gadow hier einen falschen Fundplatz angegeben, denn in Wirklichkeit stammen die ersten Funde solcher Scheiben nicht von der so genannten Steingrundexpedition, sondern wurden 1971 durch H. Stühmer südlich des Südhafens gemacht. Der genaue Fundort früherer Funde durch Minensuchtaucher lässt sich in Menge und genauem Fundort nicht mehr bestimmen.[6] Bedauerlicherweise wurde der größte Teil dieser Funde in Verkennung ihrer Bedeutung als Altmetall verkauft.[7]    
Weitere Kupferscheiben konnten durch Taucher des Unterwasserlabors Helgoland im März 1980 und im April 1981 durch Taucher der Universität Kiel an der Südspitze des östlichen Riffbogens gemacht werden.[8] 
Untersuchungen an im Kupfer eingeschlossenen Holzkohleresten der Funde von 1971 ergaben über die C14-Methode eine Datierung zwischen 1140 und 1340 n. Chr.[9] Der Umstand, dass keinerlei schriftliche zeitgenössischen Aufzeichnungen über eine Kupferverhüttung auf Helgoland existieren, lässt Hänsel und Schulz vermuten, dass diese am frühen Spektrum des möglichen Datierungszeitraums stattfand. Außerdem konnten Analysen der Zusammensetzung im Vergleich mit inzwischen mehr als 100 Proben von Kupfererzen aus anderen Lagerstätten deutlich machen, dass die Scheiben tatsächlich aus Helgoländer Kupfer hergestellt wurden.[10]      
Obgleich zur Entlastung von Gadow anzumerken ist, dass ähnliche Kupferscheiben aus dem Neolithikum und der Bronzezeit tatsächlich bekannt sind.[11]   
Helgoland wies in der Bronzezeit eine dichte Besiedlung auf, von der Grabhügel zeugen, die hier einst existierten, aber heute zerstört sind. Das Museum für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum Berlin stellt eine Steinkiste aus, die 1892 in dem damals letzten verbliebenen Grabhügel der Insel nebst Dolch und Ziernadel gefunden wurde.

Abb. 7: Steinkiste aus einem Helgoländer Grabhügel im Neuen Museum Berlin (Foto: Leif Inselmann)

Auch die reichen Kupferfunde Nordeuropas aus Gräbern der Jungstein- und Bronzezeit könnten eine Verhüttung heimischer Vorkommen wie jenen auf Helgoland nahelegen. 
Der Metallurge Werner Lorenzen schildert in seinem 1965 erschienenen Buch seine wissenschaftlichen Bemühungen, das Rätsel um das Helgoländer Kupfer zu lösen.[12]  
Ausgehend von dem Aufsuchen der Helgoländer Kupfererzlagerstätten und Verhüttungsversuchen mit diesen Erzen ließ Lorenzen Spektralanalysen an dem Helgoländer Kupfer vornehmen. Aus diesen geht hervor, dass sich das Helgoländer Kupfer besonders durch seinen hohen Arsengehalt in den Spurenelementen auszeichnet. Daraufhin verglich er die Ergebnisse mit vor- und frühgeschichtlichen Kupferfunden aus Norddeutschland und Dänemark – mit dem Ergebnis, dass diese über eine ähnliche Zusammensetzung verfügen, wie sie sich bei Lorenzens Verhüttungsversuchen mit Helgoländer Kupfererzen ergaben.[13]          
Doch auch diese recht eindeutigen Ergebnisse führten bislang nicht zu einem Paradigmenwechsel in der Archäologie und Kritik an seiner Arbeit folgte bald.          
In einer vom Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum in Schleswig herausgegebenen Jahresschrift wurde kurz nach der Veröffentlichung des Buches von Lorenzen eine ausführliche Buchbesprechung dazu abgedruckt.           
Der Rezensent schreibt unter anderem: 

„…so sind alle hier aufgeführten nordischen Formen aus einheitlichem Material hergestellt. Dieses entspricht dem Material der Analysen 1-5 des Helgolandkupfers, das bei 1000-1050° erschmolzen wurde. Der Schluss Lorenzens, dass die Herstellung aus Helgoländer Kupfer möglich war, ist durchaus berechtigt. Dass sie tatsächlich aus Helgoländer Kupfer hergestellt wurden, kann natürlich – das gesteht er selbst zu – nicht weiter bewiesen werden. Es könnte noch wahrscheinlicher gemacht werden, wenn Abbau der Erze in der Vorzeit nachgewiesen werden könnte, wie es in Österreich am Mittelberg der Fall ist. Aber das ist ja ganz aussichtslos.“[14]

Die Analysen Lorenzen werden hier in keinster Weise angezweifelt, es wird lediglich nach weiteren Beweisen verlangt, die einen allgemeinen Meinungswechsel zusätzlich rechtfertigen würden.        
Dass ein solcher Nachweis eines prähistorischen Abbaus heute nicht mehr möglich ist, liegt vor allem daran, dass das Angesicht Helgolands sich während und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg dramatisch verändert hat.     
Am 18. April 1947 wollten die Engländer ihren Plan verwirklichen, Helgoland endgültig zu vernichten, um Deutschland die Chance zu nehmen, diese Insel als strategischen Vorposten bei zukünftigen militärischen Aggressionen zu nutzen. Hierzu brachten sie ganze 4610 Tonnen Sprengstoff auf der Insel auf einmal zur Detonation, woraufhin sich eine mehr als 2000 Meter hohe Rauchwolke über die Insel erhob.[15]
Der Plan, die gesamte Insel zu zerstören, hat bekanntlich nicht funktioniert, doch waren die Zerstörungen trotzdem katastrophal und haben mit großer Wahrscheinlichkeit jeglichen evtl. einst vorhandenen Hinweis auf einen solchen prähistorischen Kupferabbau vernichtet.      
Doch andersherum sollte vielleicht einfach einmal die Frage gestellt werden, auf welchen Beweisen die allgemein angenommene These beruht, das früheste Kupfer im Norden wäre aus den südlichen Ländern importiert worden.    
Gustav Schwantes etwa führt an, dass die Kupferfunde sich eng an den Meeresküsten halten. Daraus schließt er, dass diese Gegenstände durch seefahrende Trichterbecherleute in den Norden mitgebracht wurden, die von Handelsreisen zurückkehrten.[16]        
Als weiteres Indiz werden die Funde von Steinbeilen gewertet, in die ähnliche Nähte eingearbeitet wurden, wie sie durch den Kupferguss mit zweischaligen Formen entstehen. Sie sollen eindeutig als Imitation der aus West- und Südosteuropa stammenden Kupferbeile gedacht sein.[17]          
In jüngeren Veröffentlichungen wurde lediglich der Ursprung des Kupfers im Norden von Südosteuropa nach Mitteleuropa verlegt.[18] Nur wenige Bücher sprechen offen über die Möglichkeit, dass Helgoland ebenfalls als wahrscheinlicher Ursprungsort der nordeuropäischen Kupferfunde in Frage kommen könnte.[19] 
Mit der Frage der „Kupferbeil-Imitationen“ hat sich Werner Lorenzen ausführlich auseinandergesetzt. Er merkt hierzu an, dass die Kupfergießer bei ihren Beilen dazu geneigt waren, die Nähte zu entfernen, sei es durch Platthämmern oder durch Wegschleifen. Weshalb also sollten gerade die Nähte mit nachgeahmt werden, wenn sie sich bei den Originalen ohnehin nicht „geschickt“ haben? Zudem stellt Lorenzen fest, dass viele dieser vermeintlichen Stein-Imitate Rillen und Nähte aufweisen, wo durch Guss niemals welche entstehen würden.

Abb. 8: Neolithische Steinaxt mit mutmaßlich imitierten Gussnähten. Landesmuseum Schloss Gottorf (Foto: Leif Inselmann).

Lorenzen deutet die Nähte und Rillen vielmehr als Zierrat, der eine Harmonie in der Gesamtwirkung der Steinbeile herstellen sollte, die ohne diese Elemente nicht vorhanden wäre.[20]
Und trotzdem sind es Spanuths Kritiker, die am Ende zumindest bezüglich des Abbaus des Helgoländer Kupfers Recht zu haben scheinen: Jüngeren Untersuchungen zufolge lassen sich zwar etwa 19 nordeuropäische Kupferfunde keiner der bekannten zentraleuropäischen Lagerstätten zuordnen, doch scheinen sie auch nicht aus Helgoländer Kupfer zu sein. Vor allem der hohe Silberanteil der Proben scheint dies auszuschließen.[21]
Doch auch die These, die vor- und frühgeschichtliche Metallurgie in Nordeuropa wäre eine reine Importgeschichte, scheint so nicht ganz zu stimmen. Zumindest bleibt nach aktuellen Untersuchungen der Kupferfunde der Trichterbecherkultur noch die Möglichkeit, dass in Mittelschweden ein kleiner Teil der Kupferfunde aus einheimischem Material hergestellt wurde.[22]
Es scheint, als wäre der Verlauf der gesamten Diskussion dadurch im Negativen beeinflusst worden, dass die These, auf Helgoland wäre schon während des Neolithikums Kupfer abgebaut und verarbeitet worden, erst durch Spanuth populär gemacht wurde, der durch eine zweifelhafte politische Gesinnung und eine teilweise schlampige Arbeitsweise negativ auffiel.[23] Ähnlich bewerten auch Hänsel und Schulz den Verlauf des Diskurses:

„Das Metall dürfte zu überwiegendem Teil aus dem Süden oder Westen importiert worden sein – aber nicht alles, denn es gibt im Bundsandstein der Insel Helgoland eine Lagerstätte, die in der Diskussion über das frühzeitliche Kupfer des Nordens eine wichtige Rolle gespielt hat. Unglücklicherweise ist diese Diskussion mit Spekulationen um ein als „Atlantis“ bezeichnetes Kulturzetrum im Norden belastet worden“.[24]

Und an anderer Stelle schreibt Hänsel hierzu:

„Lange schon streitet man sich im Norden Deutschlands um das Kupfer von Helgoland. Unglücklicherweise ist dieser Streit mit sehr vielen Emotionen geführt und jeder Erkenntnisfortschritt mit derart vielen Spekulationen befrachtet worden, daß man kaum noch unbefangen zu diesem Thema Stellung beziehen kann.“[25]

Andererseits sollte dies eine wissenschaftliche Diskussion eigentlich nicht beeinflussen, und so bleibt zu hoffen, dass, auch wenn Helgoland wahrscheinlich kein neolithisches Kupferabbaugebiet gewesen ist, ähnliche Diskussionen in Zukunft mit weniger Patzern verlaufen und auch von Seiten der Fachleute (es sei an Prof. Wetzels falsche Ausführungen erinnert) objektiver geführt werden.

Quellen

Freeden, U. von / Schnurbein, S. von (Hg.) 2002: Spuren der Jahrtausende. Archäologie und Geschichte in Deutschland, Stuttgart.

Gadow, G. 1973: Der Atlantis-Streit. Zur meistdiskutierten Sage des Altertums, Frankfurt a. M.

Gross, C. 19943: Schauplätze der Vergangenheit. Reise in die Geschichte Schleswig-Holstein/ Hamburg, Dortmund.

Hänsel, B. / Schulz, H. D. 1980: Frühe Kupferverhüttung auf Helgoland. Spektrum der Wissenschaft 2/1980.

Hänsel, B. o.J.:  Rohkupferfunde vor Helgoland. Informationsblatt des Museums Helgoland 13.

Klassen, L. 2000: Frühes Kupfer im Norden. Untersuchungen zu Chronologie, Herkunft und Bedeutung der Kupferfunde der Nordgruppe der Trichterbecherkultur, Hojbjerg.

Kramer, A. 20212: Vorsicht Verschwörung! Verschwörungstheorien, UFOs, Atlantis und Paläo-SETI im Lichte rechtsextremer Unterwanderung, Lüdenscheid.

Lorenzen, W. 1965: Helgoland und das früheste Kupfer des Nordens. Ein Beitrag zur Aufhellung der Anfänge der Metallurgie in Europa, Ottendorf/Niederelbe.

Pratje, O. 1952: Aufbau und Werden der Insel Helgoland, in: J. Packroß / P. Rickmers (Hg.), Helgoland ruft, Hamburg.

Probst, E. 1999: Deutschland in der Steinzeit. Jäger, Fischer und Bauern zwischen Nordseeküste und Alpenraum, München.

Sangmeister, E. 1966: Buchbesprechungen: Werner Lorenzen: Helgoland und das frühe Kupfer des Nordens. Offa 23.

Schulz, H. D. 1981: Die Kupferverhüttung auf Helgoland im Mittelalter. Offa 38.

Schwantes, G. 1958: Geschichte Schleswig-Holsteins. Bd. 1: Die Urgeschichte, Neumünster.

Spanuth, J. 19986: Die Atlanter. Volk aus dem Bernsteinland, Tübingen.

Struve, K. W. 19622:  Die Kultur der Bronzezeit in Schleswig-Holstein, Neumünster.

Wetzel, W. 1953: Der Steingrund und sein Material, in: R. Weyl (Hg.), Atlantis enträtselt? Wissenschaftler nehmen Stellung zu Jürgen Spanuths Atlantis-Hypothese, Kiel.

Wingert-Uhde, H. 1977: Schätze und Scherben. Neue Entdeckungen der Archäologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Oldenburg/Hamburg.


[1] Vgl. Probst 1999, 330.

[2] Vgl. Spanuth 1998. 52–53.

[3] Wetzel 1953, 75.

[4] Hier vermutete Spanuth die Überreste der ehemaligen Königsburg von Atlantis.

[5] Vgl. Gadow 1973, 143–145.

[6] Vgl. Schulz 1981, 365.

[7] Vgl. Hänsel; Schulz 1980, 11.

[8] Vgl. Schulz 1981, 366.

[9] Vgl. a. a. O., 365.

[10] Vgl. Hänsel; Schulz 1980, 19.

[11] Vgl. Probst 1999, 351.

[12] Vgl. Lorenzen 1965.

[13] Vgl. a. a. O., 48.

[14] Sangmeister 1966, 142.

[15] Vgl. Pratje 1952, 27 f.

[16] Vgl. Schwantes 1958, 305.

[17] Vgl.  Struve 1962, 8.

[18] Vgl. Freeden; Schnurbein 2002, 158.

[19] Eine der wenigen Ausnahmen findet sich bei Wingert-Uhde 1977, 84.

[20] Vgl. Lorenzen 1965, 69 f.

[21] Vgl. Klassen 2000, 211–212.

[22] Vgl. a. a. O., 212–217.

[23] Vgl. Kramer 2022, 98 ff.

[24] Hänsel; Schulz 1980, 11.

[25] Hänsel o. J., 1.