Die Königskartusche des Cheops – eine Fälschung aus dem 19. Jahrhundert?

Bis heute ist die größte der drei Pyramiden von Gizeh als Cheops-Pyramide bekannt. Doch wird die Urheberschaft dieses Pharao nach wie vor von vielen Anhängern unkonventioneller Geschichtstheorien abgestritten – bevorzugt zugunsten einer weit älteren Datierung der “Großen Pyramide” in die Zeit einer hypothetischen Urkultur zehntausend Jahre vor unserer Zeit.
Als eindeutigster Beweis, dass der Bau der Pyramide tatsächlich auf den Pharao Cheops (ägypt. Chufu) um 2500 v. Chr. zurückgeht, gilt dabei ein Graffito mit dessen Namenszug (Königskartusche) in einer der “Entlastungskammern” über der Königinnenkammer. Dieses wurde im Jahr 1837 entdeckt, als der britische Archäologe Richard William Howard Vyse durch kontrollierte Sprengungen die seit der Erbauung der Pyramide versiegelten Kammern öffnete (Lehner/Hawass 2017, 96 f). Doch handelt es sich bei den Inschriften womöglich um eine moderne Fälschung, angebracht durch den angeblichen Entdecker Howard Vyse selbst?
Diese These geht auf den Prä-Astronautik-Autor Zecharia Sitchin zurück. In seinem Buch Stufen zum Kosmos (wie auch späteren Publikationen) nennt er mehrere Belege für diese Annahme:

  • Die Kartusche weise einen Schreibfehler auf – ein leerer oder mit einem Punkt markierter Kreis „ra“ anstatt des schraffierten Kreises „ḫ“, also „Ra-w-f-w“ statt „Ḫ-w-f-w“ = Cheops.
  • Dieser Schreibfehler gehe auf einen Fehler in dem zu jener Zeit beliebten Buch Materia Hieroglyphica von John Gardner Wilkinson zurück, das Vyse seinem Tagebuch zufolge besessen habe (Sitchin 1980, 271).
  • Der Schriftzug sei in hieratischer bzw. linear-hieroglyphischer Schrift verfasst, die im Alten Reich zu Zeiten Cheops‘ noch nicht bekannt gewesen sei (Sitchin 1980, 266).
  • Howard Vyse habe am Ende seiner Ausgrabungen in Ägypten unter massivem Erfolgsdruck gestanden, da er noch keine relevante Entdeckung gemacht habe.

Diese Argumentation wurde in dieser Form von anderen grenzwissenschaftlichen Autoren unkritisch übernommen, so etwa Erich von Däniken (19904) und Walter-Jörg Langbein (1996, 28 f).

Diskussion

Sitchins Beweisführung ist stringent, eindeutig und zwingend. Allein: Sämtliche Behauptungen sind schlichte Lügen, wie durch eine schnelle Sichtung der genannten Quellen ersichtlich wird. Mit besonderer Sorgfalt wurde dies bereits von Frank Dörnenburg sowie anderen Kritikern (u.a. Markus Pössel, Gunnar Sperveslage) in mehreren Artikeln herausgestellt, doch lässt sich die Beweisführung in Zeiten der Internet-Verfügbarkeit alter Publikationen auch problemlos selbst nachvollziehen.
Tatsächlich ist die Namenskartusche in der Pyramide korrekt geschrieben. Der postulierte Fehler (ra statt ḫ) existiert nicht, wie sich auf allen Fotos der Inschrift erkennen lässt.
Die erste Publikation der Inschriften legte John Perring, der gemeinsam mit Vyse an der Erforschung der Pyramiden arbeitete, im Jahr 1839 vor (The Pyramids of Gizeh), ein Jahr später veröffentlichte Howard Vyse seinen eigenen Band Operations carried on at the pyramids of Gizeh in 1837 Vol. 1 mit einem weiteren Abdruck. Beide Publikationen stellen den Namenszug des Cheops korrekt dar (mit anstatt ra) – siehe im Folgenden bei Howard Vyse (Tafel „Hieorglyphic and other Writing in Campbells Chamber“ zwischen S. 284/285 – links) sowie bei Perring (Tafel VII – Mitte). Anders die Umzeichnung von Sitchin (1980, 268 – rechts), die weder der Realität noch den originalen Publikationen entspricht und stattdessen eine fiktive Abwandlung der Inschrift mit Schreibfehler darstellt.

Howard Vyse (korrekt)
Perring (korrekt)
Sitchin (manipuliert)

Wie Howard Vyse‘ Publikation zudem belegt, war dieser sich des Schreibfehlers in Wilkinsons Materia Hieroglyphica durchaus bewusst:

a sieve [Zeichen], which appears in Mr. Wilkinson’s work without any distinction from the solar disc“ (Howard Vyse 1840, 280)

Tatsächlich schreibt Howard Vyse in seinem handschriftlichen Journal (heute im British Museum aufbewahrt) ausgerechnet über seine Verwunderung darüber, dass der aufgefundene Königsname eben nicht so geschrieben war wie im Wilkinsons Buch. Auf Basis des Buches erwartete der in der Hieroglyphenschrift nur mäßig erfahrene Entdecker in der Tat die Schreibung ra-w-f-w, musste allerdings angesichts des Fundes seinen Fehler einsehen (Dörnenburg).

Die hieratische Schrift hat – anders als von Sitchin behauptet – bereits zur Zeit des Cheops in der 4. Dynastie existiert – wenngleich noch nicht in ihrer späteren, voll ausgebildeten Form, sondern in einer „semi-hieratischen Zwischenstufe“. So entspricht etwa die Wachtelküken-Hieroglyphe (u/w) in der Kartusche exakt jener ursprünglichen, noch an der hieroglyphischen Schreibung orientierten Schreibweise, bevor sie in der 5. Dynastie eine Vereinfachung hin zu einem abstrakteren Symbol erfuhr (s. Markus Pössel und Frank Dörnenburg). Ganz ähnlich findet sich die Schreibung des Namens Cheops etwa auf dem Papyrus Jarf A & B, der ebenfalls in die 4. Dynastie datiert (man achte auf die Königskartuschen):

(nach Tallet 2017, I)

Bei diesem erst 2013 entdeckten Dokument handelt es sich neben den Kartuschen in den Entlastungskammern um einen der härtesten Belege für die Bauherrnschaft des Cheops: Die zwei Papyri enthalten das Logbuch des Vorarbeiters Merer, der mit seiner Mannschaft Steine für den Bau von Achet Chufu, der Cheops-Pyramide, lieferte (Tallet 2017, vgl. auch Lehner/Hawass 2017, 29 f).
Auch der angebliche Entdeckungszwang des vermeintlich erfolglosen Vyse lässt sich historisch nicht halten – hatte dieser doch bereits vor den Kartuschen den zweiten Eingang der Chephren- sowie den Eingang der Mykerinos-Pyramide entdeckt (Sperveslage 2002, 48)

Weitere Belege

Mittlerweile bestätigen weitere Funde zweifelsfrei die Zuordnung der Pyramide und Kartusche zu Cheops entgegen den Behauptungen Zecharia Sitchins:
An der Ostseite von Lady Arbuthnots Kammer (einer weiteren der Entlastungskammern) entdeckte man, auf dem Kopf stehend, den Horusnamen (einen Beinamen) des Cheops, welcher Medjedu (mḏdw) lautet. Dieser war zur Zeit der Entdeckung noch nicht bekannt bzw. mit Cheops identifiziert, ist bei Howard Vyse jedoch schon korrekt verzeichnet, was eine Fälschung ausschließt (Tafel S. 278/79 bei Howard Vyse 1840, unten rechts – so bereits Dörnenburg und Sperveslage 2002, 46 f). Auf anderen, später entdeckten Relikten – etwa der Inventar-Stele und der Figurine des Cheops – ist Cheops eindeutig mit dem Namen Medjedu identifiziert (vgl. Lehner/Hawass 2017, 99, 142). Dass die Kartusche in der Cheops-Pyramide in ihrem aktuellen Zustand auf dem Kopf steht, belegt ebenfalls, dass das Graffito bereits vor der Einsetzung des Steines an seinen endgültigen Platz angebracht wurde.

Schließlich existiert in derselben Kammer wie die Chufu-Kartusche eine weitere Kartusche, die jedoch fast vollständig von einem weiteren Stein verdeckt wird (Tafel S. 284/285 bei Howard Vyse, unten links). Nur das w-Küken und der Schwanz der f-Schlange sind noch zu erkennen. Die Schrift kann also nur angebracht worden sein, bevor die Steine an ihre finale Position verbracht wurden, d.h. während des Baus der Pyramide (s. Dörnenburg). Dies gilt in noch stärkerem Maße auch für andere Graffiti, seit die Entlastungskammern von Geröll und Sand befreit und moderne Beleuchtung installiert wurde: “Wenn wir in bestimmte Lücken hinableuchten, die zwischen 25-40 Tonnen schweren Granitbalken liegen, können wir weiter als Armeslänge entfernt Zeichen sehen, in Spalten, die zu eng für eine Hand mit Pinsel sind” (Lehner/Hawass 2017, 97).

Verdeckte Kartusche (Howard Vyse)

Horusname (Howard Vyse)

Quod erat demonstrandum

Für gewöhnlich beruft sich die historische und archäologische Forschung lieber auf breitere Befunde und Kontexte denn auf einzelne Beweismittel. Die Königskartuschen in den “Entlastungskammern” bieten bei genauer Betrachtung jedoch genau einen solchen idealen, vor jeder Verfälschung gefeiten Beweis für die Bauherrnschaft des Cheops:

  • Die Kartuschen befinden sich in Kammern, die beim Bau der Pyramide ohne einen Zugang verschlossen wurden und gänzlich unzugänglich waren, bevor sie 1837 im Zuge der Untersuchungen von R. W. Howard Vyse aufgesprengt wurden. Also können die Inschriften nicht zwischen der Fertigstellung der Pyramide und der Entdeckung im 19. Jh. n. Chr. entstanden sein.
  • Die Kartuschen wurden kurz nach ihrer Entdeckung in den Büchern von 1837 und 1840 publiziert, also können sie nicht später entstanden sein.
  • Es gibt keine Belege für eine Fälschung im Kontext der Ausgrabung; sämtliche Argumente dafür beruhen auf Fehlinformationen.
  • Der Horusname des Cheops war in den 1830er Jahren noch nicht bekannt, also kann diese Inschrift nicht zur Zeit der Ausgrabung entstanden sein.
  • Howard Vyse ging vor der Entdeckung von einer fehlerhaften Variante der Kartusche aus, könnte diese also schwerlich in korrekter Schreibweise gefälscht haben.
  • Mehrere Inschriften, unter anderem eine mit dem Namen des Cheops, können durch die Überlappung der Bausteine nur vor deren Einbau in die Pyramide angebracht worden sein.

Diese für jedermann nachprüfbaren Fakten belegen anschaulich, dass der Name des Cheops nur zur Zeit der Erbauung der Pyramide in dieser angebracht worden sein kann.

Quellen

Frank Dörnenburg:  Der gefälschte Name / Die falsche Schrift / Der Horus-Name

Richard William Howard Vyse: Operations carried on at the Pyramids of Gizeh in 1837: With an Account of a Voyage into Upper Egypt, and an Appendix. Vol. 1. James Fraser, London 1840. Hochauflösendes Foto der Tafel hier.

Mark Lehner / Zahi Hawass: Die Pyramiden von Gizeh. Philipp von Zabern, Darmstadt 2017.

John Perring: The Pyramids of Giza – From actual Survey and Admeasurement, Table volume. James Fraser, London 1837 (Pl. 7).

Markus Pössel: Die gefälschte Cheopskartusche

Zecharia Sitchin: The Stairway to Heaven. Book II of the Earth Chronicles. St. Martin’s Press, New York 1980.

Gunnar Sperveslage: Echt oder falsch? Die Königskartusche in der Cheopspyramide. Mysteria3000 Magazin 1 (2002), 45-49.

Pierre Tallet: Les papyrus de la Mer Rouge I, Le “Journal de Merer” (Papyrus Jarf A et B). MIFAO 136, Intitut Français D’Archéologie Orientale, Kairo 2017.

Rezeption: Erich von Däniken, Die Augen der Sphinx (264-65) / Walter-Jörg-Langbein, Bevor die Sintflut kam (27-29)