Archäologische Sagen von der unteren Wupper

Die Ruinen der Burg Zoppesmur (Foto: Tobias Möser)

Das Wort Sage, so erklärt der Volkskundler Max Lüthi, „bezeichnet in einem weiteren Sinne Erzählungen, die mit dem Anspruch auftreten, wirkliche Vorgänge zu berichten, die sich aber, sei es schon im Bewußtsein des Erzählers selber, sei es für den Hörer oder nur den außenstehenden Beobachter, von dieser Wirklichkeit irgendwie entfernt haben.“    
Er unterscheidet zwischen Heldensage und Volkssage, die „von ungewöhnlichen, seltsamen, oft beunruhigenden Dingen, Gestalten oder Vorgängen“ berichtet. Ihre gestaltenden Protagonisten – der Erzähler und die ihn bedrohenden übernatürlichen Wesen wie Hexen, Geister und Riesen – finden sich in Sagen ebenso oft, zuweilen häufiger, wie so manche historische Gestalt – Ritter, Mönch oder Räuber – mit ihren Heldentaten.           
In den Bergischen Sagen spuken vor allem Zwerge, Gespenster, Hexen, Nachtmare und schwarze Hunde, wüten Raubritter und liefern sich weltliche und geistliche Autoritäten gewiefte Wettkämpfe. An so manchem Ort ist Gold verborgen, aber potenzielle Schatzfinder müssen sich mit magischen Formeln schützen, um nicht zum Raub des Bösen zu werden. Heilige Bäume und wundertätige Quellen ersetzen den Arzt und schöne weiße Frauen verzaubern den Wanderer.    
Ein neues Buch von Ulrich Magin, „Die Burg des Zwergenkönigs“, das in dem jungen Leichlinger Verlag Sequoia erschienen ist, sammelt rund 200 Sagen und Legenden von der unteren Wupper. Als Auszug präsentiert die „Wunderkammer“ hier einige der Sagen, die sich um archäologische Artefakte drehen – eine Motte, also eine einfache mittelalterliche Turmburg, prähistorische Funde und die Überreste mittelalterlicher Bergwerke. 
Die Texte, werden – wie wissenschaftlich üblich – verbatim aus den alten Quellen zitiert, Zusätze oder Erklärungen wurden kursiv gehalten. Ebenso sind Einfügungen durch eckige Klammern [] gekennzeichnet. Jeder Sage folgt in Klammern eine Angabe der Quelle.

Der Donnerkeil

„Im Bergischen glaubt man noch, daß über dem Donner ein Beil zu der Erde geschleudert werde, welcher sieben Meilen tief in die Erde fahre. In jedem Jahr kehrt er aber wieder um ein Siebentel an die Oberfläche zurück, so daß er im siebenten Jahr wohl gefunden zu werden pflegt. Wer ihn aufhebt und bewahrt, der ist sicher, daß ihm kein anderer Donnerkeil schadet, und kann beobachten, daß der Rest zur Zeit des Gewitters in Schweiß geräth. Die Keile, welche man hin und wieder als Donnerkeile zeigt, sind keilförmige Steinwaffen der Urzeit. Die Sage von dem Keile scheint auf den Donnerhammer Thor’s anzuspielen, welcher ihm von dem Riesen geraubt und sieben Meilen tief unter der Erde verborgen wurde. Auf diese Tiefe spielt auch eine volksbeliebte Verwünschung an: Ich wollte, daß dich ein Donnerkeil so tief in den Erdboden verschlüge, als ein Hase in sieben Jahren laufen kann. Auch der Fluch: Heiliges Donnerwetter! scheint auf die alte Ansicht vom Gewitter und seiner Entstehung hinzudeuten. Und der andere Fluch: Heiliges Kreuz-Donnerwetter! baut eine Brücke zwischen Kreuz und Donnerhammer.“

(Montanus: Die Vorzeit der Länder Cleve-Mark, Jülich-Berg und Westphalen. Erster Band. Elberfeld: Samuel Lucas, 1870, S. 20)

Der Ritter von der Burg Zoppesmur

„Als noch das Faustrecht herrschte, als das Raubrittertum ganz Deutschland in Angst und Schrecken setzte, soll ein Held des Stegreifs, genannt Zopp, mit seinem Spießgesellen Rindfleisch, von Leysiefen aus die ganze Umgegend beunruhigt haben.           
Der damalige Herrscher im Bergischen lebte auf seinem Schlosse zu Burg, dem alten Ahnensitze seines Geschlechtes. Sein Bruder bekleidete ein hohes geistliches Amt zu Köln, strebte aber nach der Herrschaft seines Bruders. Um diese in seine Gewalt zu bekommen, suchte er dessen Heirat zu vereiteln; doch ohne Erfolg. Da lockte er seinen Bruder nach Köln, bemächtigte sich seiner und ließ ihn entmannen. Rachebrütend kehrte der Misshandelte nach Burg zurück. Nach vielen als unausführbar verworfenen Plänen beschloss er, sich Zopp’s und seines Genossen Rindfleisch zu bedienen, um seinen Bruder in seine Gewalt zu bekommen. Er verhieß den beiden Übeltätern Verzeihung für alle begangenen Verbrechen, wenn sie seinen Bruder in Köln gefangen in seine Hände liefern würden. Ein solches Anerbieten war zu verlockend für die beiden, um es von der Hand zu weisen. Sie begaben sich nach Köln und verweilten dort längere Zeit, namentlich die Gesellschaft und Freundschaft ihres Opfers suchend. Einst auf einem Spaziergang mit demselben am Rhein entlang, ergriffen sie ihn plötzlich, fesselten ihn, warfen ihn in einen bereitgehaltenen Kahn, fuhren über den Rhein und brachten ihn nach der Burg. Der Graf warf den Verhassten in den Kerker, ließ ihn aber von Zeit zu Zeit, um sich an seiner Qual zu weiden, entkleiden, mit Honig bestreichen und in einem eisernen Käfig, der an der Aussenmauer der Burg angebracht war, von Bienen und Wespen zermartern.
Zopp soll nach einer weiteren Sage in einem Hohlwege bei Unter-Katternberg von einem Fuhrmann mit einer Hacke erschlagen worden sein.“

(Otto Schell: Bergische Sagen. Iserlohn: Baedeker, 1897, S. 193)

Die Ruinen der Burg Zoppesmur (Foto: Tobias Möser)

Schatzgräber an der Burg Zoppesmur

„Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo noch mehr von ihrem Gemäuer vorhanden, war sie [die Burg Leysiefen oder Zoppesmur] nicht selten der Aufenthalt des berüchtigten Spitzbuben Hopsa mit seinen Spießgesellen. Dann trieben auch Schatzgräber hier ihr Spiel. So leitete ein Künstler dieser Art im Jahre 1766 hier eine Schatzgräberei und betrog dadurch mehrere Männer der Gegend um eine Summe Geld. Als bei dieser Arbeit die Gestalt erschien, welche sich als Teufel darstellte, wurde ein Theilnehmer, Theodor Flabb von Neukirchen, von einem Schrecken befallen, daß er in Ohnmacht fiel. Dieser starb an den Folgen dieses Schreckens noch im nämlichen Jahre. Zuletzt grub man hier auch in diesem Jahrhundert. Man fand eines Morgens einen Topf ausgegraben, der in einem Stein gehauen war. Sein Raum hatte etwa zwei Fuß im Durchmesser und seine Tiefe betrug ungefähr eben so viel; er soll den Schatz enthalten haben.“

(Friedrich E. Freiherr von Mering: Geschichte der Burgen, Rittergüter, Abteien und Klöster in den Rheinlanden und den Provinzen Jülich, Cleve, Berg und Westphalen nach archivarischen und anderen authentischen Quellen gesammelt und bearbeitet. Band 3. Ernst Weyden 1853., S. 168)

Die Burg des Zwergenkönigs

„Der Glaube an die zaubergewaltigen Wesen dieser Sagen wurde im Wupperthale vor mehreren Jahren besonders wieder dadurch aufgefrischt, daß man zufällig in der Gegend von Leichlingen, an der sogenannten Sandstraße, bei dem Graben nach weißem Sande eine Strecke Sandboden von einer Reihe von Höhlen durchzogen fand, welche durch Gänge untereinander verbunden standen, und die alle auf so künstliche Weise und so tief in die Erde drangen, daß sie sich Jahrhunderte erhielten und unbekannt blieben. Dazu waren sie so niedrig, daß ein erwachsener Mann nur gebückt in ihnen vorschreiten oder durchkriechen konnte. Stellen am Gewölbe, die von Fackeln geschwärzt, bewiesen, daß diese Schlupfwinkel einmal beleuchtet gewesen. Wer durfte nun zweifeln, daß man eine Hauptburg des Heinzelmannskönig aufgefunden habe. Wie fleißig man aber auch forschen und suchen mochte, seinen Hort hat man nicht entdeckt, wenn die Finder nicht so gescheidt gewesen sind, kein Wort, keinen Wink darüber verlauten zu lassen. Da die Zwerge im Wupperthale so stark eingeheimt waren, kann es kaum auffallen, daß sie hin und wieder mit den Menschen Freundschaftsbündnisse schlossen. Sie sollen sich auch stets als die treuesten Freunde bewährt haben, sollen die Unbill, die dem Freunde widerfuhr, als eine ihnen selbst zugefügte betrachtet und in ihrer Weise gerächt haben.“

(Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio: Die Wesen der niederrheinischen Sagen. Elberfeld: J. W. Schmachtenberg 1857, S. 15–18)

Auszug aus:

Ulrich Magin: Die Burg des Zwergenkönigs – Alte und neue Sagen aus dem Rheinisch-Bergischen Grenzgebiet. Leichlingen, Sequoia-Verlag 2023, 134 S., 15,00 Euro, Schwarzweißabbildungen, ISBN: 978-391053321-9. (Online kaufen beim Sequoia-Verlag)