Die Steine von Ica

Ica-Steine im lokalen Museum (Foto: Brattarb, Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0)

Der kleine Ort Ica in Peru wurde in der Prä-Astronautik durch die Sammlung des ortsansässigen Arztes Javier Cabrera berühmt, der in einem kleinen Privatmuseum tausende von gravierten Steinen ausstellte, die aus unterirdischen Depots stammen sollten und ihm von den Indios als Geschenke dargebracht wurden.

Die gravierten Steine – in der Literatur die Steine von Ica genannt ‒ zeigen hierbei zum Teil fantastische Motive wie Indios, die durch Fernrohre zu schauen scheinen, chirurgische Eingriffe und Tiere, die an Dinosaurier erinnern.       
Für die Autoren der Prä-Astronautik haben wir es bei diesen angeblich uralten Stücken einmal mehr mit Beweisen dafür zu tun, dass die konventionelle Geschichtsschreibung nicht korrekt sein kann, im präkolumbianischen Amerika bereits fortschrittliche Techniken existierten und gar Dinosaurier mit Menschen zusammenlebten.  
Charroux war sich bezüglich der Bedeutung der Sammlung sogar so sicher, dass er schrieb:

»Er (Cabrera, Anmerkung André Kramer) wird mit Herodot, Plato, Buffon und Boucher de Perthes in eine Reihe gestellt werden, denn er räumt auf mit den falschen Thesen, die bis jetzt über die vorgeschichtlichen Zeiten und die alten Kulturen an den Universitäten gelehrt werden.«[1]

In den meisten Fällen aber werden die Steine, die auf ihnen befindlichen Motive und ihre angebliche Entdeckungsgeschichte ausführlich geschildert und in den Raum gestellt, dass diese Motive ein Beweis dafür seien, dass etwas mit der konventionellen Geschichtsschreibung nicht stimmen könne. Die Möglichkeit, dass Außerirdische hier Kenntnisse vermittelten oder aber es sich um Menschen handelte, die bereits im Mesozoikum lebten (oder aber, dass Dinosaurier noch lange nach ihrem angeblichen Aussterben auf Erden wandelten), werden hier gleichberechtigt nebeneinander gestellt.[2]
Ein tatsächlicher theoretischer Mehrwert ergibt sich hingegen nicht, so ist der Eindruck. Die Steine werden also als potenzielle Bestätigung für das gesehen, was ohnehin für viele in der Szene gewiss ist, ohne, dass der Versuch unternommen wird, die angenommenen Anomalien in einen historischen Rahmen zu rücken. Auch werden keine Fragen an die Ikonographie der Ritzungen gestellt. Wer waren ihre Erschaffer, wenn doch der Stil offenkundig von dem anderer Völker der Region abweicht? Wo befinden sich die angeblichen unterirdischen Depots? Weshalb existieren diese als zumindest zum Teil echt angenommenen Steine nur aus einer einzigen Quelle, nämlich der von Cabrera?[3] Woher stammen Motive wie jene von Christus am Kreuz, wenn es sich doch um »vorsintflutliche« Funde handelt? Weshalb kannte eine Kultur, die den Motiven zufolge Herzoperationen durchführen konnte und über Teleskope verfügte, keine anderen Mittel, als Motive ungelenk und künstlerisch wenig anspruchsvoll in größtenteils faustgroße Steine zu ritzen?
All diese Punkte lassen die Steine leider abermals als äußerst zweifelhafte Beweise erscheinen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf plumpe Fälschungen zurückzuführen sind.        
Däniken selbst wies schon sehr früh darauf hin, dass örtliche Fälscher (oder besser Kunsthandwerker?) derartige Steingravuren herstellten und den Steinen mittels verschiedener Techniken das Antlitz alter Artefakte verliehen. Er selbst besuchte eine solche Steinwerkstatt und sah bei der Entstehung einer derartigen Steingravur zu. Er suchte den Fälscher Basilo Uschuya auf, der Däniken gegenüber äußerte, dass die Stücke aus Cabreras Sammlung von ihm angefertigt wurden. Mit einem Sägeblatt ritzte er ein zuvor mit einem Bleistift aufgezeichnetes Motiv in einen faustgroßen Stein. Däniken erkannte hier jedoch unter der Lupe Unterschiede, da bei dem »frischen« Stein eine Patina fehlte, die für Däniken ein Hinweis auf ein wesentlich höheres Alter der »echten« Steine ist.[4] Auch geologische Gutachten sollen derartige »echte« Steine aufgrund ihrer Oberflächenoxydation auf den Ritzungen bestätigen.[5]           
Dieses Gutachten der Minengesellschaft »Mauricio Hochschild« wird von Mitarbeitern dieser Firma in der 1997 auf Kabel-1 erstmals ausgestrahlten Dokumentation »Das Geheimnis der Steine von Ica« jedoch dahingehend relativiert, dass man lediglich die Steine selbst, nicht jedoch das Alter der Gravuren datiert habe.[6]  
Bernard Roidinger wiederum spricht davon, dass die Steine geologischen Expertisen zufolge aus »verkohltem Andesit« bestünden, was für ein Alter von 220 Millionen Jahren spräche.[7] Dem widerspricht der Geologe Heinz Kruparz in einem Leserbrief vehement. Zum einen könne es kein verkohltes Andesit geben, da es sich schon um vulkanisches Gestein handle, zum anderen seien die Anden das Produkt jüngeren Vulkanismus und damit keinesfalls 220 Millionen Jahre alt.[8]
Es kam bezüglich der gravierten Steine sogar zu polizeilichen Verhören der mutmaßlichen Fälscher, die gestanden, alle Steine Cabreras selbst hergestellt zu haben.[9] Dieser Umstand wird jedoch von den Anhängern der Echtheit der Steine mit den Argumenten beiseite gewischt, die gemeinen Indios hätten gar nicht über die Bildung verfügt, die Motive anzufertigen (obgleich sie selbst im Verhör angaben, die Inspiration zum Beispiel aus Zeitschriften zu haben).[10] 
Die Prä-Astronautik zeigt sich bei der Beurteilung der Authentizität der Steine als alte Relikte geteilter Meinung. Für Langbein gibt es »ohne Zweifel« viele echte alte Steine,[11] Siebenhaar hält den größten Teil der Sammlung für moderne Erzeugnisse, schließt aber nicht aus, dass ein Teil der Sammlung auch aus »echten«, also alten Steinen besteht.[12]
Letztere Annahme ist tatsächlich nicht auszuschließen, doch welchen Wert hat diese Möglichkeit, wenn davon auszugehen ist, dass der größte Teil eben doch gefälscht ist und der Augenschein nicht die Möglichkeit hergibt, alte von modernen Erzeugnissen zu unterscheiden?
Schließlich sind die Motive nicht zwangsläufig nur deshalb zweifelhaft, weil die Inhalte zum Teil fantastisch sind, sondern deshalb, weil sie oftmals zu sehr mit heute veraltetem Wissen hantieren.
Die angeblichen Darstellungen von Dinosauriern stellen hierfür ein anschauliches Beispiel dar. Bis in die 1980-er Jahre hinein glaubten die Paläontologen, diese gewaltigen Reptilien aus dem Mesozoikum, dem Erdmittelalter, hätten ihre Schwänze über den Boden geschliffen. In den Rekonstruktionen wurden schwerfällige Tiere dargestellt, sicherlich in Anlehnung an ihre rezenten Verwandten aus der Welt der Kriechtiere. Neuere Rekonstruktionen hingegen gehen davon aus, dass diese Tiere ihre Schwänze steif in der Luft balancierten und dass etwa einige der gewaltigen Sauropoden ihre Schwänze als peitschenartige Waffen zu verwenden wussten.
Cabreras Steinsammlung hingegen, deren Kontingent größtenteils aus der Zeit vor den 1970-er Jahren stammt, zeigt ausnahmslos saurierartige Tiere, die ihre Schwänze am Boden schleifen ließen. Der Verdacht liegt also nahe, dass örtliche Künstler ihre Gravuren nach den Vorbildern bekannter Darstellungen aus populären Büchern anfertigten und es sich nicht um die Darstellungen echter Augenzeugen handelt.
Darüber hinaus sind die Darstellungen selbst unter der Annahme, sie beruhen auf veraltetem Wissen, weit entfernt davon, korrekt zu sein. Während die Autoren der Szene selbstbewusst von Stegosauriern und Tyrannosauriern sprechen, weisen diese Gravuren einige eklatante anatomische Abweichungen von dem auf, was wir den fossilen Befunden entnehmen können und erinnern eher an die Zeichnungen von Kindern. Real ansichtig wurden die Schöpfer der Gravuren echten Dinosauriern jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit nicht.

Stein mit Abbildungen von Dinosauriern (Foto: Brattarb, Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0)

Interessant erscheinen auf den ersten Blick die angeblichen Entdeckungen der Spanier Maria del Carmen Olazar Benguria und Felix Arenas Mariscal. Diese machten sich 2002 daran, dem Geheimnis der Steine von Ica auf die Spur zu kommen und wollten selbst solche ergraben. Begleitet (ausgerechnet) von Basilo Uschuya, dem schon Däniken bei der Gravur derartiger Steine zusah, gruben sie zwischen Ica und Nazca in der Oase Ocucaje. Uschuya zog indes sein früheres Fälschungsgeständnis wieder zurück, behauptete nun, er habe dieses nur abgelegt, um nicht als Raubgräber inhaftiert zu werden.[13] Wie es dann jedoch sein kann, dass Däniken dokumentieren konnte, wie Uschuya sehr routiniert derartige Steine anfertigte und fachgerecht »auf alt« trimmte, darüber schwieg er sich vermutlich aus, wenn diese Frage überhaupt gestellt wurde. In etwa zwei Meter Tiefe soll es dann zum Fund mehrerer Steine mit Gravuren gekommen sein, denen aufgrund des umgebenen Gesteins bei Untersuchungen in Madrid sogar ein Alter von mehreren zehntausend Jahren zugesprochen worden sein soll.[14]
Interessant ist die Abbildung zweier dieser Steine bei Bürgin, auf denen die üblichen »Sauriermotive« zu sehen sind. Entgegen den alten Ritzungen aus der Cabrera-Sammlung entdecken wir hier plötzlich Schwänze, die gerade in der Luft balancieren. So, wie es dem aktuellen Stand der Forschung entspricht. Allein dieser Umstand lässt doch arge Zweifel an der Authentizität der gesamten Geschichte aufkommen.
Die Steine von Ica haben keinerlei Wert als Beweismittel für eine revidierende Geschichtsschreibung oder für einen Paläokontakt und sollten entsprechend auch nicht wie solche behandelt werden.
Eine Auseinandersetzung mit den Steinen kann nur dann von Wert sein, wenn ernsthafte Bemühungen betrieben werden, die Echtheit von zumindest einem Teil der Stücke zu prüfen. Eine reine Beschreibung der Motive und Einbinden von diesen in das eigene Thesengeflecht hingegen bringt die Forschung keinen Zentimeter voran.

Quellen

Bürgin, L. 2009: Lexikon der verbotenen Archäologie. Mysteriöse Relikte von A bis Z, Rottenburg.

Charroux, R. 1978: Das Rätsel der Anden, Düsseldorf/Wien.

Däniken, E. von 1977: Beweise. Lokaltermin in fünf Kontinenten, Düsseldorf/Wien.

Fischinger, L. A. 2010: Verbotene Geschichte. Die großen Geheimnisse der Menschheit und was die Wissenschaft uns verschwiegen hat, München.

Habeck, R. 2004: Das Unerklärliche. Mysterien, Mythen, Menschheitsrätsel, Wien.

Kruparz, H. 1995: Leserbrief – zu Heft 105. Magazin2000 107/6.

Langbein, W.-J. 1996: Ein kosmisches Horrorkabinett – Die Sammlung von Cabrera Darquera, in: U. Dopatka (Hg.), Sind wir allein? Besucher aus der Zukunft: Götter, UFOs, Astronauten, Düsseldorf.

Petratu, C. / Roidinger, B. 1994: Die Steine von Ica. Protokoll einer anderen Menschheit, Essen/München/Bartenstein/Venlo/Santa Fe.

Pezold, M. o. J.: Ica. (unveröffentlichter Text)

Roidinger, B. 1995: Der archäologische Beweis: Mensch und Dinosaurier lebten zusammen! Die Dinosaurierbucht von Yupanque. Magazin2000 105/4.

Siebenhaar, W. 1996: Die Steine von Ica. G.R.A.L. 3/1996.

Wiesner, P. 1997: Anweisungen aus dem Kosmos, München/Essen/Ebene Reichenau.

Zillmer, H.-J. 2001: Darwins Irrtum. Vorsintflutliche Funde beweisen: Dinosaurier und Menschen lebten gemeinsam. 4. Auflage, München.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch:
Paläo-SETI: Methodenbausteine für die Suche nach den Spuren Außerirdischer in der Vergangenheit
von André Kramer
Gep E.V. , 556 Seiten
39,99 €
Erhältlich bei Book on Demand und im Buchhandel


[1] Charroux 1978, S. 20

[2] Vgl. z.B. Petratu; Roidinger 1994, Wiesner 1997, S. 161 ff. Zillmer 2001, S. 249 ff. sieht hier gar den Beweis, dass Menschen und Dinosaurier vor wenigen tausend Jahren koexistierten.

[3] An verschiedenen Stellen werden zwar auch unabhängige Funde benannt, doch entziehen sich diese Angaben immer weiteren Überprüfungen, ein gesonderter Fall wird weiter unten behandelt.

[4] Vgl. Däniken 1977, S. 415 ff.

[5] Vgl. a.a.O., S. 417 ff.

[6] Vgl. Pezold o. J.

[7] Vgl. Roidinger 1995, S. 67

[8] Vgl. Kruparz 1995, S. 7

[9] Vgl. Petratu; Roidinger 1994, S. 37 f.

[10] Vgl. a.a.O., S. 38 f.

[11] Langbein 1996, S. 196

[12] Vgl. Siebenhaar 1996, S. 182, ähnlich auch Habeck 2004, S. 257, Fischinger 2010, S. 57 f.

[13] Vgl. Bürgin 2009, S. 99 ff.

[14] Vgl. a.a.O., S. 102