Herman Wirth als Quelle von Jürgen Spanuths Atlantisthesen
Der Totentempel Ramses‘ III. von Medinet Habu (Foto LI)
In den 1950er Jahren stellte der Pastor Jürgen Spanuth die These auf, Platons Atlantisbericht handle von der Seevölkerinvasion Ägyptens, und diese Seevölker (in denen die konventionelle Archäologie Völker aus dem Inselraum nördlich von Ägypten sieht) seien frühe Germanen gewesen, die – als ihr Land an der norddeutschen Wattenküste in einer Sturmflut verschlungen worden war – in den Mittelmeerraum wanderten und dorthin die Kultur brachten. So hätten die Phönizier bei den Philistern, den Resten dieser Nordseegermanen, die Runen „entlehnt“, überhaupt sei der Atlantisbericht Platos ein Echo dieser germanischen Invasion, die von ägyptischer Hand an der Wand des Tempels von Medinet Habu beschrieben wurde, die Griechen eigentlich edle Germanen und so weiter. Hauptstadt und „Königsburg“ der Germanen sei eine Untiefe östlich des heutigen Helgoland gewesen, dem Heiligen Land oder Fositeland der Friesen (aus dem Plato dann das „Land des Poseidon“ machte).
Spanuths Thesen arbeiten mit Geschichtsfälschungen und stehen im Großen und Ganzen ganz im Dienst des Germanenmythos des Dritten Reiches (Wo der Semit, wie die Phönizier die Runen, auch nur nachmachen, nie aber selbst erfinden kann). Spanuths Bücher sind zum größten Teil in rechtsextremistischen Verlagen wie Grabert erschienen. Tatsächlich hat er seine Thesen aber – was nur wenig bekannt ist – nicht selbst erstellt, sondern selbst bei Nazi-Rassentheoretikern entlehnt (vgl. Magin 1996, S. 148).
So stammt die Vorstellung, Helgoland habe etwas mit Atlantis zu tun, direkt von Wolfram Sievers, einem Mitglied der Reichsgeschäftsführung des nationalsozialistischen „Forschungsinstituts“ Ahnenerbe der SS. Sievers ordnete 1938 an, das Institut habe „Ortungsnetze“, also Netzwerke aus nach astronomischen Gesichtspunkten ausgerichteten „heiligen Linien“, auf Helgoland zu erfassen, um somit festzustellen, wie groß die Insel vor ihrem Versinken einmal gewesen sei. Ebenso sollte durch die kartographische Erfassung der Linien festgestellt werden, wo sich einstmals heilkräftige Quellen sowie eine „germanische Königsburg“ befunden hätten. Auch der Fehmarner Landwirt Peter Wiepert wollte diese „Königsburg“ – allerdings auf Marinekarten – aufspüren (Kater 1974, 71, 378; Magin 1996, 42).
Kernstück von Spanuths These ist die Behauptung, die Reliefs über den Seevölkerkrieg an der Wand des Tempels von Medinet Habu seien so etwas wie das ägyptische Pendant zu Platos Atlantisbericht. Diese Vorstellung hat Spanuth praktisch 1:1 aus dem Buch eines wirren völkischen Vorläufers, des Germanenforschers Herman Wirth, entnommen.
Wirth – ein „wichtiger nationalsozialistischer Funktionär und Mitgründer der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS“ (Wikipedia) – befasste sich vornehmlich mit der „Urgeschichte der atlantisch-nordischen Rasse”. Als Atlanter betrachtete er reinrassige germanische Arier, die auf einer Insel im hohen Nordatlantik saßen – im fortwährenden Kampf gegen zersetzende semitische Einflüsse – und die Urkultur Amerikas und Europas darstellten. In einem seiner monumentalen, wenn auch höchst wirren Hauptwerke, dem „Aufgang der Menschheit“, spricht Wirth im 22. Kapitel von der „Mittelmeer- & Völkerfahrt der atlantischen Seevölker“ in Nachwirkung des Untergangs von Atlantis. Wer mit Spanuths Werk vertraut ist, wird recht bald merken, wie abhängig der angeblich unpolitische Germanenfreund von der Ideologie dieser Nazi-Archäologie ist:
„Die westlichen atlantischen Beziehungen der Ma-uri (Libyer) von Nord-Afrika müssen noch bestanden haben, als Atlantis selber vergangen und das mutterrechtliche Kultzentrum nach dem heiligen Land Polsete, ins Ingväonische [Ingväonen werden die Germanenstämme in der Rheinmündung in den heutigen Niederlanden genannt], verlegt worden war. Um 1400 sinken nämlich die Königspaläste von Knossos und Phaistos auf Kreta in Trümmern: die minoische Kultur nimmt ein Ende. Die prachtvolle Geschenke bringenden Kafti (Kefto) verschwinden aus den Darstellungen der ägyptischen Denkmaler. Ein Unwetter vom atlantischen Ozean her war über Kreta hinweg gefegt in der Gestalt der Nordvölker, See- oder Inselvölker, die nun in dem Gesichtskreis der Ägypter auftauchten. Ihre Stürme sollte auch das ägyptische Reich zu spüren bekommen.
Um diese Zeit nimmt der Andrang der Libyer, der Tahennu, der „weißen Männer“, für Ägypten einen äußerst gefahrdrohenden Charakter an. Unter der Regierung von Merenptah, dem Sohn und Nachfolger des berühmten Pharao Ramses III. (um 1230 v. Chr. etwa), griff der Libyerfürst Meraje mit den Lebu (Libyer) und Mashuash (Maxyes) und den „Völkern des Nordens“ das Delta an. Von dem Namen dieser Seevölker, welche uns die ägyptischen Denkmaler und die Keilschriftkorrespondenz der kanaanitischen und syrischen Vasallen in babylonischer Sprache in Tell-el-Amarna überliefert haben, sind vier mit Sicherheit gedeutet worden. Die „Scherden“ oder „Schardin“ (babyl. Se-ir-da-ni) sind die Sardinier, die „Ruku“ oder „Lukki“ die Likyer, die „Teresch“ oder „Turscha“, die Tyrsener, verwandt mit den Etruskern; die Ahaiwascha endlich, identisch mit den Achaivoi, den Achaern, also den Griechen. In sechsstündiger Schlacht gelang es dem Pharao Merenptah den Angriff vernichtend abzuschlagen. Etwa ein Menschenalter später am Anfange der Regierung Ramses III. (1197) erneuert sich noch einmal der Ansturm der Atlantiker. Diesmal ist das Bündnis der Libyer mit den atlantischen Stammesbrüdern noch mächtiger gestaltet. Aber da die Hauptmacht der letzteren nicht zeitig genug auf dem Plan erschien, wird der Einzelangriff der Libyer abgeschlagen. Von den verbündeten Seevölkern nahmen nur die Flotte der Persta und Waschasch an dieser letzten Libyeroffensive teil. Drei Jahre später wälzt sich dann die Völkerwanderung der Verbündeten gegen Ägypten heran. Sechs Völker nennen diesmal die ägyptischen Denkmaler: Papyrus Harris und die Inschriften und Reliefbilder des Tempels zu Medinet-Habu in Theben, von Ramses III. erbaut. Die „Scherdanu“ (Schardin) und die unbekannten „Schakaruscha“ sind wieder dabei, ebenfalls die „Persta“ und „Waschasch“; und dann zwei neue Namen, die Takkari oder Tzakkarai und Dan(a)una.
„Nicht einer vermochte ihnen Stand zu halten“, sagt Ramses in der Tempelinschrift. Sie hatten das große Chattireich im östlichen Kleinasien, Kilikien, die Länder am Euphrat, und Arasa oder Alaschia (Kypern) überrannt und zogen nun durch Amurru (Kanaan) zu Land und zu Meer wider Ägypten. Auch der zweite große Angriff wird von dem ägyptischen Pharao in der Feldschlacht „im Lande Amur“, dem Amoriterland, und der damit verbundenen Seeschlacht abgewehrt.
Von dieser letzten großen Koalition sind zwei Völkernamen für uns von besonderer Bedeutung; erstens derjenige der Perset oder Persta, der auch Pelesta, Pul(a)sata usw. gelautet haben kann, da die Ägypter das 1 nur durch r wiedergeben. Es sind die hebräischen P(e)lischtiin, deren Land die Assyrer Pilischtu, die Griechen Palaistine & die Römer Palaestina nannten, — die Philister, die wir als Polsete-Leute oben bereits identifiziert haben auf Grund ihrer Stammessymbolik: der Schwanenhals am Vordersteven der langgezogenen Segelschiffe mit rechteckig aufsteigendem Steven (Atlas Abb. 41 19), Relief an der nordöstlichen Außenwand des Tempels von Medinet Habu; Atlas Abb. 41 18 Philisterschiff auf Diskus von Phaistos: Dreiblatt und Beil als Stevensymbole.
Über dem nordischen Schiffstypus, der im Mittelmeer damals gänzlich unbekannt ist, und den ausschließlich ingväonischen Stammessymbolen (Schwan, Dreiblatt und Beil am Steven) weist ihre Keramik eine unmittelbare Verbindung über die kretisch-mykenische Kultur mit Spanien und dem ingväonischen Kulturkreis auf (Schwan, Spirale-Wurmlage, Doppelbeil, sechs- oder achtspeichiges Rad, Lebensbaum usw.). Ihre Bewaffnung, langes gerades Bronzeschwert und runder Schild ist nordisch. Die Federkrone als Kopfschmuck ist ebenfalls atlantisch-nordisch: wir finden sie bei den nordamerikanischen Indianern, in den mittelamerikanischen Kulturen, bei Iberern, Libyern und den Leuten vom „Fremdboot-Typus“, den sudatlantischen Kolonisatoren des prädynastischen Ägyptens wie auch in Alt-Sumerien usw. (Atlas Abb. 5046.)
Diese alte Me-uru- (Ma-uri) Tracht werden wir genau so bei den polynesischen Ma-ori & den Nachfahren jener „Leute vom Fremdboottypus“, den Süd-Atlantikern Ozeaniens, wiederfinden (Atlas Abb. 4262, 4264, 4266). Neben den Leuten aus Polsete-Land ist der Name des Volkes, das in den babylonischen Quellen Da-nu-na (im Ägypten d‘jnjwn) genannt wird, für uns von größter Bedeutung Wir haben hier die Danaoi vom Argos vor uns, deren Name, wie Argoi überhaupt, „die Griechen“ bezeichnen konnte. Auch sie, die Danuna, Danaoi, sind ein ingväonischer bezw. Tuatha-Stamm.
Dann ist dieselbe Göttin wie Anu, welche Cormac in seinem Glossar als die „irische Göttermutter“ (mater deorum hibernensium) bezeichnet. Den Namen der Allmutter Erde (Adana, Odana, Da-anu usw.) haben wir als Fahrtenspur der Volker atlantisch-nordischer Rasse bei der Behandlung der Überlieferungen von Atlantis, Hyperboräer- und Polsete-Land bereits kurz gestreift. Nach ihr nennt sich der von Norden nachdrängende Ingväonenstamm, der die Fomorier aus Irland vertreibt, Tuatha De Danann, „das Volk der Göttin Danu“ oder „Volk der Göttin Mutter Danu“. […]
Die Wurzeln des Lebensbaumes, da wo das Lebenswasser, der Brunnen, das Weltenmeer ist, liegen in der Süd- oder Winterhälfte, in der „Unterwelt“. Entsprechend heißt danos im Griechischen auch „durre“ (vom Winter und versiegtem Wasser hergeleitet) und werden die Toten auch die danaoi genannt. Für die rassische Bestimmung dieser Dananu sind die Darstellungen der ägyptischen Reliefs von größter Wichtigkeit, weil sie uns die Nord- oder Seevölker blauäugig und blondhaarig abbilden: so z. B. im Grab des Senye, eines Hofbeamten der 18. Dynastie. Die Frauengestalt auf dem Pylon des Hor-em-heb zu Karnak (Ende 18. Dynastie), die zu den Hanivu gehört, zeigt ebenfalls ein rein nordisches Profil (Atlas Abb. 5044).
Denselben nordischen Rassetypus zeigen uns aber auch die Darstellungen der Schwanenbootleute aus Polsete-Land auf dem Tempelrelief von Medinet-Habu (Atlas Abb. 41 19 und 5046 a, b) und der Zeker oder Tzakkarai (der Teukroi), der Bundesgenossen der Pulsata, die sich mit ihnen an der Küste Kanaans in Dor (Tantüra) ansiedelten. Sie sind die Begründer der phönizischen Schifffahrt. Die „Schardin vom Meere“ (Sardinian) weisen einen leichten kaukasischen Einschlag auf; ihre Bewaffnung Rundschild und Langschwert ist nordisch; auf dem Helm tragen sie die Horner und dazwischen den Sonnenball, also die atlantisch-nordische Hieroglyphe (Atlas Abb. 5045). Die „Schardu“ von der Leibwache Ramses III. (Relief an der Außenwand des Rameseums) mit dem gehörnten Helm haben eine mehr eingedrückte Nase mit aufwärts gebogener Spitze (Stupsnase). Beide Nasentypen kehren in den sardinischen Götteridolen wieder, mit denen wir uns noch befassen werden (Atlas Abb. 5037 — 5038). Ebenfalls tritt der gehörnte Helm bei den sardinischen Statuetten (Atlas Abb. 95) auf, der sich gleicherweise bei der Bemannung auf den Schiffen der schwedischen Felszeichnungen wiederfindet (Atlas Abb. 5045 a, Schiffsdarstellung aus Varum). Es handelt sich auch hier um eine atlantische Kulttracht, die sich in Vorderasien nicht nachweisen läßt. Auch dies widerlegt die völlig unbegründete Annahme, daß die Schardin aus Libyen gekommen waren.“ (Wirth 1928, 136 f)
Das lange Zitat soll einerseits zeigen, wie ungehemmt von jeder philologischen Sorgfaltspflicht Wirth ganz einfach vom ägyptischen zum amerikanischen, zum keltischen, germanischen und griechischen Kulturkreis hüpft und überall Verflechtungen sieht und zieht. Der aufmerksame Leser findet in diesen beiden Seiten schon praktisch alle Stichworte, aus denen Spanuth seine germanophile Atlantisthese zurechtgezimmert hat: Nordseevölker, Rundschild und nordisches Langschwert, Lebensbaum und Schwanenhalsschiff, atlantische Federkrone – all das liest sich wie ein Schlagwortindex zu Spanuths Atlantisbüchern.
Quellen
Kater, M. H. 1974: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945, Stuttgart.
Magin, U. 1996: Geheimwissenschaft Geomantie, München.
Magin, U. 1995: Otto Sigfried Reuter and Hermann Wirth: two founding fathers of Nazi archaeology. Fortean Studies 2.
Wirth, H. 1928: Der Aufgang der Menschheit. Untersuchungen zur Geschichte der Religion, Symbolik und Schrift der atlantisch-nordischen Rasse, Jena.
Ulrich Magin lebt nahe Bonn und ist Autor des Buchs „Keltische Kultplätze in Deutschland: Geschichte und Mythos einer rätselhaften Kultur“ (Nikol).