Riesen im antiken Mesopotamien?

Auf alternativarchäologischen Blogs[1], in Videos[2] und sozialen Medien stößt man immer wieder auf Bilder von Kunstwerken aus dem alten Mesopotamien, die angeblich Riesen neben normalen Menschen zeigen sollen. Gerne werden diese Abbildungen als Belege für die Vielzahl pseudowissenschaftlicher und religiöser Theorien rund um die biblischen Nephilim und Zecharia Sitchins Anunnaki herangezogen. Der Kontext der Darstellungen kommt dabei naturgemäß zu kurz. Doch stellen diese Bilder tatsächlich eine mythische Rasse von Riesen dar, oder handelt es sich nur um künstlerische Darstellungsformen? Und auch wenn die Abbildung mythischer Szenen alles andere als verwunderlich wäre – gab es in der Mythologie der Sumerer, Babylonier und Assyrer überhaupt die Vorstellung von Riesen? Begeben wir uns auf die Spur der Bilder und fragen uns, was diese wirklich darstellen.

Angebliche Darstellungen von Riesen

Eine Reliefplatte des Sanherib

Objekt: Reliefplatte, British Museum 124954
Auffindung: Südwestpalast von Ninive, 1856 vom British Museum erworben
Datierung: neuassyrisch, Zeit des Sanherib (640‒620 v. Chr.)
Dargestellt: Assyrische Soldaten und Kriegsgefangene mit Kind

In letzter Zeit kursiert dieses Meme auf einschlägigen Seiten sozialer Medien: Wir sehen einen Mann und drei Frauen, offenbar fast so groß wie Bäume, daneben eine winzige menschliche Figur. Riesen im alten Sumer, wie die Bildüberschrift suggeriert?         
Tatsächlich ist an dieser Betitelung nahezu alles falsch, abgesehen davon, dass es sich um ein Flachrelief handelt: Das Relief ist mitnichten sumerisch, sondern neuassyrisch. Es handelt sich um die Reliefplatte BM 124954 aus dem Südwestpalast des Königs Sanherib (640‒620 v. Chr.) in Ninive, heute ausgestellt im British Museum – und damit knapp anderthalb Jahrtausende (!) jünger als die späte sumerische Kultur. Und betrachtet man einmal das gesamte Relief anstelle des kleinen Ausschnittes, erkennt man, dass es sich keinesfalls um eine mythologische Szene handelt: Dargestellt sind Soldaten der assyrischen Armee, die nach einer siegreichen Schlacht Beute und Kriegsgefangene wegführen. Die prächtigen Stiere, die in dem stets verbreiteten Bildausschnitt wegfallen, sind aber genauso groß wie die anderen Figuren – Riesen-Rinder?     
Nein, vielmehr haben Menschen und Rinder Normalgröße. Die Bäume wurden kleiner abgebildet, um in die Reliefzeile zu passen, ohne dass die eigentlich im Mittelpunkt stehenden Menschen zu klein dargestellt werden müssten. Und bei dem kleinen Menschlein, das von einer der gefangenen Frauen Wasser aus einem Schlauch zu trinken bekommt, handelt es sich um ein Kind. Eine solche Darstellung von Kindern in extrem verkleinerter Form findet sich auch in anderen Reliefs aus der Zeit des Sanherib.

(© The Trustees of the British Museum, CC BY-NC-SA 4.0)
Assyrische Soldaten, Kriegsgefangene und ihre Kinder – Assyrisches Relief BM 124907
(© The Trustees of the British Museum, CC BY-NC-SA 4.0)

Die Weiheplatte des Ur-Nanše

Objekt: Weiheplatte aus Kalkstein, Louvre AO 2344 (Inschrift siehe RIME 1.9.1.2)
Auffindung: 1888 in Tello (Girsu)
Datierung: Frühdynastisch, Zeit des Ur-Nanše von Lagaš, um 2500 v. Chr.
Dargestellt: Fürst Ur-Nanše mit seinen Kindern

Als einziges der hier besprochenen Objekte ist dieses tatsächlich sumerisch. Dargestellt ist Ur-Nanše, der Herrscher des Stadtstaates Lagaš – oben mit dem Tragkorb als Symbol der Arbeit für die Götter dargestellt (dies war gemäß der mesopotamischen Mythologie die Bestimmung des Menschen und daher eine beliebte Darstellungskonvention für Herrscher), unten mit einem Becher thronend in einer Bankettszene. Die Beischriften identifizieren auch die anderen abgebildeten Figuren: In der oberen Reihe sind dies der Mundschenk Anita, die Tochter Abda (Lesung unsicher) und die Söhne Akurgal, Lugal-ezem, Ani-kura und Mu-kuršubata. Unten abgebildet sind der Mundschenk Saĝ-diĝir-tuku (hinter dem König) sowie der Schlangenbeschwörer Balul und die Söhne Amun-pa, Men-usu und Adda-tur vor ihm.
Ein Riese ist Ur-Nanše mitnichten, denn die kleiner dargestellten Figuren sind (größtenteils) seine Kinder: Gehörte er tatsächlich einer anderen Spezies an, so müssten auch diese ähnliche Maße besitzen – stattdessen sind sie auch hier durch geringere Größe als Kinder und/oder weniger bedeutsam identifiziert.

Die Naram-Sîn-Stele

(Rama, Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0)

Objekt: Siegesstele aus Sandstein, Louvre AS 6065 (Inschrift und weitere Infos siehe CDLI)
Auffindung: 1898 in Susa, ursprünglich aufgestellt in Sippar
Datierung: Akkadisches Reich, Zeit des Naram-Sîn, ca. 2254–2218 v. Chr.
Dargestellt: König Naram-Sîn von Akkade

Naram-Sîn war der Enkel und Nachfolger von Sargon, dem Gründer des Akkadischen Reiches (dem ersten Großreich Mesopotamiens). Auf seiner berühmten Stele ist er dargestellt, wie er über das Bergvolk der Lullubäer triumphiert. In der Hand hält er einen Kompositbogen, vor ihm sinkt ein Feind tödlich getroffen zu Boden. Die akkadische Inschrift ist abgebrochen und umfasst kaum mehr als den Namen des Königs und seiner Feinde, doch findet sich auf dem Bergrücken eine weitere Inschrift, die der elamische König Šutruk-Naḫḫunte mehr als tausend Jahre später beim Raub der Stele anbringen ließ. Naram-Sîn ist übermenschlich groß dargestellt und trägt eine Hörnerkrone wie ein Gott – ein Hinweis darauf, dass er sich bereits zu Lebzeiten vergöttlichen ließ, wie auch aus anderen Inschriften (v.a. RIME 2.1.4.10) hervorgeht.

Die Sonnengott-Tafel des Nabû-apla-iddina

(Foto LI)

Objekt: Weiheplatte, British Museum ME 91000 (siehe dort für Inschriften und weitere Informationen)
Auffindung: Sippar, 1881 vom British Museum erworben
Datierung: neubabylonisch, Zeit des Nabû-apla-iddina (ca. 860–850 v. Chr.)
Dargestellt: Sonnengott Šamaš

Bei dieser häufig zitierten Abbildung handelt es sich um die berühmte „Sonnengott-Tafel“ des neubabylonischen Königs Nabû-apla-iddina. Die Inschrift berichtet von einem wichtigen Ereignis im Kult der Stadt Sippar: Im 11. Jh. v. Chr. war die Kultstatue des Stadtgottes Šamaš bei einem Überfall der Sutäer zerstört worden. Da die Herstellung einer neuen Statue jedoch ein Zeichen des Gottes voraussetzt, musste man sich in den folgenden fast zweihundert Jahren mit einer Sonnenscheibe (Mitte des Bildes) als stellvertretendem Kultobjekt behelfen. Schließlich wurde am Ufer des Flusses eine alte Statue gefunden, was man als Vorzeichen des Gottes betrachtete: Nun endlich konnte eine neue Statue des Gottes für den Tempel hergestellt werden. Bei dem Relief handelt es sich um eine sogenannte „Einführungsszene“: Zwei Menschen, in der Mitte der König, hinter ihnen eine fürbittende Göttin, machen dem thronenden Gott ihre Aufwartung, der durch die beistehende Inschrift (neben seinem Kopf) als der Sonnengott Šamaš identifiziert wird. Ob hier der Gott selbst dargestellt ist oder seine im Text erwähnte Statue, dürfte für die Babylonier selbst keinen Unterschied gemacht haben – schließlich existierte der Gott auf Erden in Form seiner Kultstatue.          
Das Relief ist ein gutes Beispiel für die Darstellungskonvention der antiken Mesopotamier: Der Gott Šamaš wird größer dargestellt, da er der wichtigste Teil der Komposition ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Götter allgemein diese Größe gehabt haben müssten – schließlich ist die Göttin ganz links (durch ihre Hörnerkrone als solche zu identifizieren) in normaler Größe dargestellt.

Die Helden von Khorsabad

(Wikimedia Commons: AO 19862 und AO 19861)

Objekt: Monumentalstatuen Louvre AO 19862 und AO 19861
Auffindung: 1843‒1844 in Khorsabad (Dūr Šarrukīn)
Datierung: neuassyrisch, Zeit Sargons II. (721–705 v. Chr.)
Dargestellt: Heldenfiguren, möglicherweise Gilgameš und Enkidu

In der assyrischen Abteilung des Louvre sind neben gewaltigen menschenköpfigen Stieren auch zwei wahre Hünen aus Stein zu bestaunen: Eine Waffe in der einen Hand, halten sie mit der jeweils anderen mühelos einen Löwen gepackt. Nur in Größe und Frisur unterscheiden sich die beiden Figuren voneinander. Unter allen hier besprochenen Abbildungen sind dies wahrscheinlich die einzigen, die tatsächlich übermenschlich große Individuen zeigen.     
Die Statuen stammen aus der assyrischen Stadt Dūr Šarrukīn (modern Khorsabad), die der assyrische König Sargon II. ab 717 v. Chr. als neue Königsresidenz erbauen ließ. Nach seinem Tod jedoch wurde der Regierungssitz von seinem Sohn und Nachfolger Sanherib aufgegeben und der Regierungssitz nach Ninive verlegt.[3]         
Dass mit den überlebensgroßen Figuren tatsächlich übergroße Personen repräsentiert sind, erkennt man an den zugehörigen Löwen – eigentlich lebensgroß dargestellt, erscheinen diese in den Armen der hünenhaften Helden wie harmlose Hauskatzen. Möglicherweise stellen die Statuen die beiden Helden Gilgameš und Enkidu aus dem berühmten Gilgameš-Epos dar, wie der Forscher Amar Annus (2012) in einem Artikel herausstellte.    
Gilgameš ist der mythische König von Uruk, zu zwei Dritteln Gott und einem Drittel Mensch. Das Epos beschreibt seine übermenschlichen Maße:

stattlich ist seine Statur, elf Ellen hoch ist er gewachsen,        
Zwei Ellen beträgt die Breite seiner Lenden.     
Sein Fuß mißt drei Ellen, eine halbe Rute sein Bein.     
Sechs Ellen sind seine Schultern breit, 
der erste seiner Finger ist eine halbe Elle lang.“[4]

Eine Elle entspricht etwa einem halben Meter – damit war Gilgameš dem Epos zufolge ganze 5,50 m groß! Tatsächlich ist dies genau die Größe, die auch die Statue AO 19862 aufweist (5,52 m): Wenn sie tatsächlich Gilgameš verkörpert, so ist dieser mitsamt dem Löwen in Lebensgröße dargestellt.        
Das Epos berichtet weiterhin, wie die Götter einen wilden Tiermenschen namens Enkidu erschaffen, der den zügellosen Gilgameš bändigen soll. Die beiden treffen im Zweikampf aufeinander, doch können einander nicht besiegen – daraufhin werden sie beste Freunde und erleben gemeinsam Abenteuer. Das Epos nennt nicht die genaue Körpergröße Enkidus, doch sei er „Gilgameš ebenbürtig an Gestalt, kleiner an Statur, doch von starkem Knochenbau“[5]. So ist auch die Statue AO 19861 mit etwa 4,70 m etwas kleiner als die andere, doch kaum weniger monumental.

Wie groß sind Götter?

Bei der Betrachtung altorientalischer Bildwerke fällt oft auf, dass Götter, wenn sie mit Menschen interagieren, übermenschlich groß dargestellt sind. Es ist also die Frage berechtigt: Stellten die antiken Mesopotamier sich ihre Götter allgemein in Riesengestalt vor? Insbesondere im Bereich der pseudowissenschaftlichen Anunnaki-Theorien wird genau das immer wieder behauptet. 
Nach altorientalischer Vorstellung lebten die Götter in ihren Tempeln, deren Maße wir verhältnismäßig gut kennen. Die neubabylonische Esagil-Tafel nennt die Maße des Tempels des Hauptgottes Marduk in Babylon. Dieser zufolge maß das Bett des Gottes Marduk, das sich tatsächlich in historischer Zeit im Tempel befand, 9 Ellen (4,5 m) in der Länge und 4 Ellen (2 m) in der Breite.[6] Dies könnte zu der grenzwissenschaftlichen Vorstellung eines Riesen-Gottes passen – oder der Gott hatte schlichtweg ein großes Bett. Was aber sagen andere Schriftquellen über die Größe von Göttern?
Die wertvollsten Quellen zur Vorstellungswelt der antiken Mesopotamier sind ihre Mythen, die in Form zahlreicher Erzählungen, Hymnen und anderer Texte überliefert sind. Allerdings gibt kein Mythos explizite Maße für die Größe eines Gottes an – vielmehr sind die Texte dahingehend recht widersprüchlich.       
Die mythische Erzählung Innana und Šukaletuda berichtet davon, wie die Göttin Innana im Schlaf von dem Gärtner Šukaletuda missbraucht wird. In anderen Quellen findet sich die „Heilige Hochzeit“ zwischen der Göttin und einem König, die ebenfalls mit dem Geschlechtsakt endet (so etwa mit dem König Enmerkara im sumerischen Epos Enmerkara und der Herr von Arata, mit dem König Iddin-Dagan in der Hymne Iddin-Dagan A sowie angedeutet im Gilgameš-Epos mit dem titelgebenden Helden). Demnach müsste die Göttin Innana-Ištar annähernd menschliche Gestalt und Größe gehabt haben.      
Andererseits heißt es über dieselbe Göttin im sumerischen Lied Nin me šara: „Dass du weit wie die Erde geworden bist, möge bekannt sein!“[7] In der Erzählung Innana und An / Innana holt das Himmelshaus kämpft die Göttin gegen einen mythischen Skorpion, der buchstäblich mit dem Sternbild Skorpion identisch ist. Hier hat man sich also eine Göttin von wahrhaft kosmischen Ausmaßen vorzustellen. 
Ebenso im babylonischen Epos Enūma elîš: Der Gott Marduk kämpft gegen die urzeitliche Meeresgöttin Tiamat, tötet sie, schneidet ihren Leichnam in zwei Hälften und erschafft daraus Himmel und Erde. Auch hier muss der anthropomorph gedachte Gott also eine buchstäblich weltumspannende Größe besitzen – nur um anschließend in ebendieser Welt zu leben.   
Die Mythen bieten also kein konsistentes Bild: Götter sind genau so groß, wie es der Kontext der jeweiligen Erzählung erfordert – groß genug, um die ganze Welt zu umfassen, aber zugleich so klein, dass sie in Tempeln leben und den Geschlechtsakt mit Menschen vollziehen. Dies ist nicht überraschend. Schließlich sind Götter nach altorientalischer Vorstellung zwar meistens anthropomorph (menschengestaltig) gedacht, aber keine biologischen Wesen mit einem einzigen fixen Körper – vielmehr konnten sie als Kultstatuen, Himmelsgestirne und unsichtbare Kräfte ebenso präsent und wirksam sein wie als anthropomorphe Gestalten der Mythologie.   
Dass ein solcher „biologistischer“ Ansatz zum Verständnis von Göttern verfehlt ist, zeigen auch die bildlichen Darstellungen wie die Sonnengott-Tafel des Nabû-apla-iddina, die stellvertretend für das gesamte Genre der Einführungsszenen steht.

Bei Betrachtung von Einführungsszenen und Herrscherdarstellungen fällt schnell ein Muster auf: Der thronende Gott ist übermenschlich groß dargestellt, der zu ihm tretende Beter deutlich kleiner. Häufig – so auch auf der Sonnengott-Tafel – wird der Mensch jedoch von weiteren Gottheiten begleitet, die anhand der Hörnerkronen ebenfalls als Götter zu identifizieren sind: Eine einführende Gottheit (auf der Sonnengott-Tafel ein Mensch) fasst den Bittsteller bei der Hand und führt ihn zu der thronenden Gottheit. Eine „fürbittende Gottheit“ steht mit zum Gebet erhobenen Händen hinter dem Menschen. Diese niederen Gottheiten aber sind ebenso groß dargestellt wie der Mensch, nur die thronende Gottheit ist deutlich größer. Dies passt zu der Beobachtung bei der Weiheplatte des Ur-Nanše, wo zwar der König übermenschlich groß ist, seine eigenen Kinder dagegen kleiner. Hier zeigt sich ein Muster: Überlebensgroß dargestellt sind nicht pauschal Götter oder Könige, sondern die jeweils beherrschende Figur der Szene. Dieses Stilmittel erscheint nicht überraschend, wenn man sich mit antiker Kunst beschäftigt.

Größe statt Perspektive

Im Alten Orient wurden Herrscher und Götter häufig übermenschlich groß abgebildet – die oben diskutierten Abbildungen sind nur einige von vielen. Diese Darstellungsweise hat einen simplen Grund: Die Reliefkunst jener Zeit kannte noch keine Perspektive.    
Neuzeitliche Gemälde sind naturalistisch: Sie versuchen also (mehr oder weniger), wie ein Foto das tatsächlich Gesehene abzubilden. Hierbei verwendet man etwa einen Fluchtpunkt im Hintergrund, um räumliche Tiefe zu schaffen – weiter entfernt stehende Objekte erscheinen damit kleiner. Zudem können Licht und Schatten genutzt werden, um einzelne Elemente einer Komposition zu betonen oder zu verdecken. Als Beispiel betrachte man das Gemälde der Krönung Napoleons von 1806/7, wo der Kaiser auch ohne Riesenwuchs durch Licht und Position hervorgehoben wird. All diese Stilmittel aber kannte die antike Kunst noch nicht.

Krönung von Napoleon I. Bonaparte in Notre Dame (1804) – Gemälde von Jacques-Louis David (1806–7, Wikimedia Commons): Napoleon ist durch Licht hervorgehoben, die Gäste der Zeremonie verschwimmen im Hintergrund.
Das Lager der Assyrer bei der Belagerung von Lachisch in Aspektive. Relief des Sanherib in Ninive, British Museum (Zunkir, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0)

Weder beherrschte die antike Reliefkunst Perspektive und räumliche Tiefe, noch wurde differenziert mit Licht und Schatten gearbeitet. All jene Stilmittel, die wir aus Gemälden jüngerer Epochen sowie heutigen Grafiken und Filmen kennen, um Wichtigkeit und Überlegenheit einzelner Figuren herauszustellen, waren den Künstlern der Antike noch unbekannt.  
Stattdessen waren die Bildkompositionen zweidimensional – vergleichbar einem Jump-‘n-Run-Spiel, wo sich alles auf einer Ebene abspielt – oder verwendeten die sogenannte Aspektive: Hierbei werden verschiedene Seiten einer Komposition in einer Ansicht vereinigt, was in einer perspektivischen Darstellung unmöglich wäre. So zeigt etwa ein Relief des assyrischen Königs Sanherib ein Militärlager in der Draufsicht, dessen Mauern wie bei einem Pappmodell zu allen Seiten heruntergeklappt sind, während sich daneben gleichzeitig riesenhafte Menschen in der Seitenansicht bewegen. Nur so konnte man ohne Dreidimensionalität alle Aspekte der Komposition sichtbar machen. Solche Bilder zeigen auch, dass die Bildwerke der Antike keinen solchen Anspruch auf naturalistische Darstellung hatten wie die Kunst der Neuzeit.
Wenn man also ohne Perspektive und Beleuchtung eine Person als besonders mächtig und bedeutend in einer Komposition hervorheben wollte, dann war es das einfachste, diese größer darzustellen als die anderen Figuren.            
Dies hat nichts mit tatsächlichem Riesenwuchs zu tun. Den besten Beweis dafür liefern uns die ägyptischen Pharaonen: Von etlichen Königen sind Darstellungen in übermenschlicher Größe bezeugt – besonders beliebt etwa das Motiv des „Erschlagens der Feinde“, bei der ein übergroßer Pharao kleinere Gefangene mit der Keule erschlägt. Von denselben Herrschern aber sind oftmals auch die Mumien überliefert, sodass wir über ihre tatsächliche Größe zuverlässig unterrichtet sind. Ramses II. wird zwar in der Tradition „der Große“ genannt und auf seinen Reliefs der Schlacht von Kadesch oder der Belagerung von Dapur in übermenschlicher Größe dargestellt – seine Mumie aber ist nur 1,72 m groß. Ganz ähnlich sein späterer Nachfolger Ramses III., der zwar auf seinem Relief in Medinet Habu in Riesengestalt die Seevölker bekämpft, aber sterbliche Überreste von ganz gewöhnlicher Größe hinterließ.

Ramses II. bei der Belagerung von Dapur. Relief aus dem Ramesseum (Foto LI).
Mumie von Ramses II (Wikimedia Commons)
Ramses III. beim Erschlagen der Feinde. Relief am Tempel von Medinet Habu (Foto LI)
Mumie von Ramses III. (Wikimedia Commons)

Übergroße Herrscher und Götter in der Bildkunst geben also – auch wenn deutlich kleinere Menschen als Maßstab daneben abgebildet sind – keine Rückschlüsse darauf, dass tatsächlich riesenhafte Individuen dargestellt sind.         
Doch gab es in der Mythologie und Historiographie des antiken Mesopotamien überhaupt die Vorstellung von Riesen als eigener Spezies?

Riesen in Mesopotamien?

Riesen tauchen in den Mythen und Sagen fast aller Völker der Welt auf. Da gerade aus dem alten Mesopotamien eines der größten Korpora antiker Mythen überliefert ist, wäre es nur naheliegend, auch dort solche Überlieferungen vorzufinden.

Gilgameš und Enkidu

Tatsächlich sind die einzigen Gestalten in der mesopotamischen Mythen- und Sagenwelt, die man gesichert als Riesen bezeichnen kann, Gilgameš und Enkidu aus dem Gilgameš-Epos. Beide sind von menschlicher Gestalt, doch um ein Mehrfaches größer: Gilgameš misst etwa 5,50 m (11 Ellen), Enkidu ist nur wenig kleiner und ebenso stark.  
Allerdings handelt es sich bei den beiden um Einzelindividuen und nicht um Repräsentanten einer eigenen Spezies: Gilgameš ist als Sohn der Göttin Ninsumun und des vergöttlichten Königs Lugalbanda zu zwei Dritteln Gott und einem Drittel Mensch – zwar sterblich, doch von göttlicher Natur. Tatsächlich wird er in den Texten durchweg mit dem sogenannten Gottesdeterminativ (Zeichen DINGIR vor dem Namen) geschrieben, also auch schon zu Lebzeiten als göttlich klassifiziert. Allerdings ist er im Epos sterblich wie ein Mensch, auch wenn er der Sumerischen Königsliste zufolge ganze 126 Jahre regierte.      
Enkidu dagegen ist ein einzigartiges Wesen, das von der Göttin Aruru in einem singulären Schöpfungsakt aus Lehm geschaffen wird. Mit seiner animalischen Gestalt – „sein ganzer Körper bedeckt mit Haar, geschmückt mit Locken wie eine Frau“[8] – erinnert er fast an unser Bild von Bigfoot oder dem „Wilden Mann“ der europäischen Sagenwelt. Er stellt somit den historisch frühesten Beleg für einen sagenhaften Wildmenschen (Hominoiden) dar. Allerdings ist auch dies in der mesopotamischen Überlieferung keine eigene Spezies, sondern eben nur ein einzelnes Individuum.

Ḫumbaba

Außerdem kommt im Gilgameš-Epos das Ungeheuer umbaba (sumerisch uwawa) vor, das in der modernen Rezeption manchmal als Riese bezeichnet wird. Humbaba ist der Wächter des legendären Zedernwaldes im Libanon, den Gilgameš und Enkidu bekämpfen und töten, um die heiligen Zedern fällen zu können. Enkidu beschreibt ihn im Epos folgendermaßen:

„Der Wächter des Zedernwaldes – sehr weit ist sein Gebiet.
Humbaba – seine Stimme ist die Sintflut,
sein Mundwerk ist »Das Feuer«, und sein Atem ist der Tod.
Er aber kann sechzig Meilen weit in seinem Wald das Rufen hören.
Wer ist (denn) der, dem es gelänge, in seinen Wald zu dringen?
Adad (steht) an erster Stelle, er aber an der zweiten.
Wer ist unter den Himmelsgöttern, der ihn zu befehden wagte?“[9]

Von der Größe Humbabas ist nicht die Rede, auch wenn der nachfolgende Kampf natürlich nahelegt, dass er mindestens genauso groß und stark ist wie die beiden Helden. Vor allem aber wird er ganz klar als übernatürliches Wesen charakterisiert. Die ältere sumerische Erzählung Gilgameš und Huwawa beschreibt sogar, wie der berühmte Held aus der Ferne von der schrecklichen „Aura“ Huwawas getroffen wird und das Bewusstsein verliert. Nach ihrem Sieg nehmen Gilgameš und Enkidu die sieben Auren Huwawas und verteilen sie an verschiedene Götter und Institutionen.

Sechslockige Helden, Laḫmū und fünfzig Riesen(?)

Auffällig an der Statue aus Khorsabad, die möglicherweise Enkidu darstellt, sind die jeweils drei Locken zu beiden Seiten des Kopfes. Diese weisen auf den ikonographischen Typus des sogenannten „sechslockigen Helden“ hin. Solche Gestalten treten vor allem in mesopotamischen Siegelbildern und anderen Bilddarstellungen häufig auf, wo sie gegen Tiere oder Mischwesen kämpfen oder als Torwächter dienen. Nach einer etablierten Theorie sind die bildlich belegten „Helden“ mit den in mythologischen und rituellen Texten erwähnten Laḫmū (sumerisch Laḫama) zu identifizieren[10], die in verschiedenen Mythen als Diener des Weisheitsgottes Enki/Ea auftreten.[11] Ob man sich die sechslockigen Helden bzw. die mythischen Laḫmū ebenfalls als Riesen vorstellte, lässt sich aufgrund der nicht naturalistischen Proportionen der Siegelbilder unmöglich sagen – die Texte schweigen zu dieser Frage.   
Der sumerische Text Innana und Enki erwähnt neben den Laḫama noch eine weitere Gruppe mythischer Wesen, die auf sumerisch als „u18-ru eridu.gki-ga 50-bi“ bezeichnet werden.[12] Da das Adjektiv u18-ru „gewaltig, riesig, allmächtig“[13] bedeutet, werden diese mitunter als „die 50 Riesen von Eridu“ übersetzt.[14] Allerdings bedeutet u18-ru als Substantiv auch „Wirbelwind“[15] – und Stürme als bisweilen personifizierte göttliche Machtmittel sind in der mesopotamischen Mythologie wiederholt belegt. Ob es sich bei den Ungeheuern von Eridu also um fünfzig Riesen oder fünfzig Wirbelstürme handelt, lässt sich bis auf weiteres nicht bestimmen – näher beschrieben werden sie im Text nicht.

„Sechslockiger“ Held (Laḫmu) auf einer Terrakottaplakette, British Museum (Foto LI).

Warum gibt es sie nicht?

Letztlich lässt sich nur für die Einzelindividuen Gilgameš und Enkidu eine riesenhafte Gestalt sicher an Texten belegen. Uneindeutig bleibt die Einordnung von Ḫumbaba, Laḫmū und den fünfzig Uru Eriduga. Nicht belegen lässt sich dagegen die Vorstellung einer ganzen Rasse von Riesen, wie sie etwa aus der griechischen oder nordischen Mythologie bekannt ist. Doch warum fehlt diese Gattung von Fabelwesen, die in fast jeder Mythologie vorkommt, ausgerechnet im an Mythen und Monstern so reichen Mesopotamien?   
Ein Grund für die Abwesenheit von Riesen könnte ein quellenkritisches sein: In vielen Kulturen sind Riesen Gestalten der „niederen Mythologie“, die vor allem in Lokalsagen, Heldensagen oder Märchen auftreten. Diese Stoffgattungen aber sind in den erhaltenen Quellen aus dem alten Mesopotamien kaum vertreten; allenfalls die Epen um die Könige von Uruk (Enmerkara, Lugalbanda, Gilgameš) stehen diesen thematisch nahe. Die meisten literarischen Texte dagegen erzählen Mythen, in denen Götter – nur gelegentlich ergänzt durch Menschen oder Monster – im Mittelpunkt stehen. Es handelt sich um religiöse Texte, die das Wesen der Welt erklärten und in unmittelbarer Verbindung zum Tempelkult standen. Auf der anderen Seite stehen Ritualtexte, die etwa zur Abwehr von Übel dienten – diese aber haben naheliegenderweise „unsichtbare“ Mächte wie Totengeister und Dämonen zum Thema. Dies erklärt aber nur bedingt, weshalb Riesen unter mythischen „Götterfeinden“ wie Drachen und Ungeheuern keine Rolle spielen, während sie in anderen Kulturen in solcher Rolle vorkommen. Nun ist es kaum möglich (und weshalb nötig?), die Abwesenheit von etwas zu begründen, wenn man doch stattdessen nach Gründen für die Anwesenheit suchen müsste.

Funde angeblicher „Riesenknochen“ in der Antike, die durch moderne Fossilfunde bestätigt wurden (Karte von Michele Mayor Angel nach Mayor 2011, 127, Map 3.2)

In vielen Kulturen besitzen Riesen eine ätiologische Funktion: Sie dienen dazu, die Existenz sonst unverständlicher Relikte zu erklären. Megalithische Bauten vorangegangener Kulturen wurden häufig als Bauwerke von Riesen interpretiert („Hünengräber“, „Zyklopenmauern“ etc.), da man sich ihre Errichtung mit zeitgenössischen Mitteln nicht mehr vorstellen konnte.
Ebenso wurden auch Funde riesiger Knochen – tatsächlich Fossilien prähistorischer Großtiere wie Mammuts und Mastodonten – in vielen Kulturen als Überreste vorzeitlicher Riesen gedeutet: So decken sich aus der Antike bekannte Fundorte von riesigen Skeletten, die Riesen und Heroen zugeschrieben wurden, auffällig mit heute bekannten Fossillagerstätten (siehe Karte).[16] Jüngere Beispiele umfassen den „Luzerner Riesen“ 1577 (Mammut), den Oberschenkelknochen des Riesenkönigs „Teutobochus Rex“ 1613 (Deinotherium), den Williamson County Giant 1845 (Amerikanisches Mastodon) oder die Hochwasserfunde von Cartersville 1886 (Mammut oder Mastodon)[17], die sich allesamt als Knochen prähistorischer Rüsseltiere herausstellten.  
Das südliche Mesopotamien aber besteht aus einer in geologisch verhältnismäßig junger Zeit aufgeschwemmten Alluvialebene, in der weder größere Steine noch Fossilien vorkommen. Daher finden sich dort im Gegensatz zu vielen anderen Regionen keinerlei prähistorische Megalithbauten (auch in historischen Zeiten wurde vor allem mit Lehmziegeln gebaut). Auch Funde rätselhafter „Riesenskelette“ kommen nicht vor.   
Hinzu kommt, dass im Vorderen Orient bis in historische Zeit wildlebende Elefanten beheimatet waren. Im Gegensatz zu Regionen wie Europa und Nordamerika, wo Elefanten in rezenter Zeit nicht mehr lebten und den Einheimischen unbekannt waren, wären Funde von Elefantenknochen im Alten Orient also eher nicht als Riesen fehlinterpretiert worden. Zumindest im Süden gibt es daher keine Grundlage für die Entstehung ätiologischer Riesensagen – solche wären allenfalls im zunehmend bergigen Nordmesopotamien (Assyrien) denkbar, wo die Geologie eine andere ist.       

Warum Mesopotamien? ‒ Henochische und mesopotamische Mythologie

Warum aber bemühen sich die Vertreter grenzwissenschaftlicher Thesen so konsequent, ausgerechnet im alten Mesopotamien Riesen zu finden?    
Die Wahl ausgerechnet der Sumerer kann kaum ein Zufall sein: Kaum eine Zivilisation (ausgenommen Ägypten) steht mehr für eine uralte Hochkultur mit rätselhaften Überlieferungen. Durch Zecharia Sitchins Anunnaki-Theorien ist die sumerisch-babylonische Mythologie untrennbar mit den Behauptungen der Prä-Astronautik assoziiert. Hinzu kommt die Nähe zum antiken Israel, der von vielen Riesen bevölkerten Welt des Alten Testaments. In einschlägigen Theorien werden die biblische und mesopotamische Mythologie dabei gerne vermischt – oder letztere als ältere, vermeintlich „unverfälschte“ Vorlage der ersteren dargestellt (wie es bei der Sintflut-Erzählung – und eigentlich nur dort – tatsächlich der Fall ist).     
Insbesondere neigen die Vertreter der Anunnaki-Prä-Astronautik gerne dazu, die henochische Mythostradition auf das benachbarte Mesopotamien zu projizieren: Mehrere biblische und apokryphe Überlieferungen (Genesis 6, das Buch Henoch sowie weitere Apokryphen wie das Gigantenbuch und das Buch der Jubiläen) berichten von „Göttersöhnen“ bzw. Engeln, die vom Himmel auf die Erde hinabstiegen, die Menschen Kulturtechniken lehrten und mit menschlichen Frauen ein Geschlecht von Riesen (die Nephilim) zeugten. Bei Zecharia Sitchin und seinen Epigonen werden jene biblischen „Göttersöhne“ mit den mesopotamischen Anunnaki identifiziert und suggeriert, die gesamte mythische Tradition habe ihren Ursprung im antiken Mesopotamien.         
Tatsächlich sind mögliche mesopotamische Einflüsse auf die henochische Mythostradition in der Forschung wiederholt thematisiert worden. So handle es sich nach A. Annus bei der Geschichte der bösen Wächter als Lehrer verbotenen Wissens um eine Polemik auf die mesopotamische Tradition der Apkallu, die als halbgöttliche vorsintflutliche Kulturstifter galten.[18] Dazu passt, dass im Gigantenbuch offenbar auch Gilgameš und Ḫumbaba unter den vorsintflutlichen Riesen genannt werden: Da diese bereits als Riesen bekannt waren und auch Gilgameš als Überlieferer vorsintflutlichen Wissens galt, wurden sie unter die bösen Riesen der jüdischen Tradition einsortiert ‒ im Widerspruch zur mesopotamischen Überlieferung, die beide Figuren lange nach der Sintflut verortet.[19] Nach einer anderen Theorie dürfte das Bild der gefräßigen Riesen im Buch Henoch, die sich gegen alles Leben auf Erden versündigen und nach ihrem Tod in der Sintflut zu bösen Geistern werden, von mesopotamischen Beschreibungen über Dämonen beeinflusst sein.[20] Nach all diesen Modellen handelt es sich bei der henochischen Tradition jedoch nicht um eine unveränderte Übernahme einer mesopotamischen Überlieferung, sondern die Adaption einzelner Versatzstücke mit einer bestimmten ideologischen Intention. Eine parallele Überlieferung über eine vor- oder nachsintflutliche Rasse von Riesen, wie sie die henochische Tradition ausmalt und die modernen Pseudowissenschaftler annehmen, ist aus Mesopotamien dagegen nicht bezeugt. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine judäische Überlieferung, deren hauptsächlicher Ursprung in einer polemischen Antwort auf kanaanäische Heroenkulte (die sog. Rephaim oder Rapiu’ma) zu suchen sein dürfte. Vor allem besteht keine nachweisbare Identität der jüdisch-henochischen Wächter und Nephilim mit der mesopotamischen Göttergruppe der Anunnaki.

Zusammenfassung

  • Die überlebensgroße Darstellung von Göttern und Herrschern auf Abbildungen ist kein Beleg für einen tatsächlichen Riesenwuchs, wie etwa das Beispiel der ägyptischen Pharaonen (übergroße Bilddarstellungen und normalgroße Mumien) belegt. Es handelt sich um eine Darstellungskonvention für herausgehobene Individuen in einer Kunst, die noch keine perspektivischen Darstellungen kannte.
  • Götter hatten in der altorientalischen Vorstellungswelt keine feststehende Körpergröße, sondern konnten je nach Kontext in menschlicher (Einführungsszenen), übermenschlicher (ebendort) oder gar kosmischer Größe (Enūma elîš, Innana-Mythen) erscheinen.
  • Die einzigen in der mesopotamischen Mythologie klar als solche identifizierten „Riesen“ sind der Halbgott Gilgameš und sein Freund Enkidu im Gilgameš-Epos. Die Vorstellung von Riesen als eigener Spezies lässt sich für die mesopotamische Überlieferung dagegen nicht belegen.
  • Die weitgehende Abwesenheit von Riesen in der mesopotamischen Tradition könnte zum Teil auf das Fehlen von Megalithmonumenten und Megafauna-Fossilien zurückzuführen sein, die in anderen Kulturen ätiologische Riesensagen inspirierten.
  • Die Vorstellungen von Riesen im alten Mesopotamien in der Grenzwissenschaft resultiert aus einer unzulässigen Übertragung der biblisch-henochischen Nephilim-Tradition auf die sumerisch-babylonische Kultur, bei der die „Anunnaki“ und ihre halbgöttlichen Nachkommen als Riesen vorgestellt werden.

Quellen

Annus, A. 2010: On the Origin of Watchers: A Comparative Study of the Antediluvian Wisdom in Mesopotamian and Jewish Traditions. Journal for the study of the Pseudepigrapha 19.4, 277‒320.

Annus, A. 2012: Louvre Gilgamesh (AO 19862) is depicted in life size. NABU 2012, no. 32.

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Eine frühere Fassung dieses Artikels erschien bereits 2020 unter dem Titel „Steine für Giganten (1/3): Riesen im alten Mesopotamien?“; überarbeitete Fassung 2023.


[1] z.B. Xavier Séguin (Eden Saga): Giants Of Sumer (08.03.2014); Crystal Links: Giants; ADSactly Folklore: When Giants Roamed the Earth (Part 5); Ted Twietmeyer: Evidence Of Giants Who Walked The Earth; Prometheus News 2012: Ancient Middle Eastern Cultures and Prometheus

[2] z.B. Ancient Aliens S16:4 “Giants of the Mediterranean” (Ende); Tiktok: Angels and men, our ancient giant ancestors

[3] Frame 1997, 295.

[4] Gilgameš-Epos 1:52–58 (Üs. nach Maul 2005, 47 f).

[5] OB Gilgameš II 81-82: anami Gilgāmeš mašil padattam lānam šapil esemtam pukkul (zit. nach Annus 2012, Üs. LI).

[6] Esagil-Tafel 34 (vgl. George 1992, 116 f).

[7] Nin me šara 124: ki-gen7 daĝal-la-za ḫe2-zu-am3 (Üs. LI).

[8] Gilg. 1:105 f: [š]u-‘-ur šar-ta ka-lu zu-um-ri-šu2 / up-pu-uš pe-re-tu kīma(gen7) sin-niš-ti (nach George 2003, 544; Üs. LI).

[9] Gilg. 2:279–283 (Üs. Maul 2005).

[10] So erstmals postuliert von Wiggermann 1983, ebenso Wiggermann 1992, dagegen Ellis 1995.

[11] So etwa im Atram-ḫasis-Epos und der mythischen Erzählung Innana und Enki.

[12] ETCSL 1.3.1: Inana and Enki, H 41/62 (Transliteration / Übersetzung).

[13] Attinger 2021, 1094.

[14] So ETCSL(„the fifty giants of Eridug“) und Farber-Flügge 1973, 37 („die Riesen von Eridu, alle fünfzig“).

[15] Attinger 2021, 1094 f.

[16] Vgl. Mayor 2011, Map 3.2 u.a.

[17] Vgl. Inselmann, L. 2021: A Race of Giants? – Riesenskelette aus Georgia.

[18] Vgl. Annus 2010 und 2012a.

[19] Vgl. Goff 2009 und Cooley 2014.

[20] Vgl. Fröhlich 2016, 104‒106.