Sivatherium von Kiš

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Die Figurine (Colbert 1936, Pl. 21)

Bei der Ausgrabung der sumerischen Stadt Kiš durch das Field Museum of Natural History und die Universität Oxford stieß man auf einen Zügelring aus Bronze, der offensichtlich zu den Überresten eines Wagens mit Pferden gehörte (Colbert 1936, 605). Das Objekt stellt ein gehörntes Huftier dar, dessen genaue Interpretation Schwierigkeiten bereitet. Während es weithin als Darstellung eines Damhirsches gedeutet wurde, wies der amerikanische Paläontologe Edwin H. Colbert 1936 in einem Artikel auf die bemerkenswerte Übereinstimmung des Wesens mit dem vermeintlich im Pleistozän ausgestorbenen Sivatherium hin, einer einst in Afrika und Indien verbreiteten Art von Rindergiraffen. Wie jenes besitzt die Figur zwei Paar Hörner bzw. Geweihe – zwei ausladende von identischer Form am Hinterkopf sowie zwei kleinere, konische direkt über den Augen, die allen heute existierenden Arten fehlen; auch die Position beider Hornpaare sowie der allgemeine Körperbau entsprächen dem prähistorischen Vorbild. Das dargestellte Tier scheint domestiziert zu sein, denn es trägt einen Nasenring.
Während Colbert und andere frühe Autoren die Figur noch auf etwa 3 500 v. Chr. datierten, gibt David Reese einen Ursprung gegen 2 800-2 750 v. Chr. (späte Frühdynastisch-I-Zeit) an. Dass Sivatherien zumindest länger als bislang vermutet bis in annähernd historische Zeiten überlebt haben könnten, scheint auch durch steinzeitliche Felsbilder dieser Tiere in Afrika bestätigt zu werden – auch wenn diese immer noch deutlich vor die Figurine aus Kiš datiert werden (Naish 2011).
1977 bekam die Theorie jedoch Risse, als die zuvor abgebrochenen Enden des Geweihs der Figur in einem Lagerraum des Field Museum wieder aufgefunden wurden. Diese stellten sich als länger heraus, als man es bei einem Sivatherium, wie es Colbert rekonstruierte, erwarten sollte, was schließlich wieder für die Identifizierung als Damhirsch spräche. Dieser stünden jedoch, wie Christine Janis 1990 betonte, weiterhin die kleinen Überaugenhörner sowie eine allgemein mehr dem Sivatherium zugeneigte Morphologie entgegen (Naish 2011).

Quellen

Edwin H. Colbert: Was the Extinct Giraffe (Sivatherium) Known to the Early Sumerians? American Anthropologist, New Series 38/4, 1936, 605-608.

Edwin H. Colbert: The enigma of SivatheriumPlateau 51, 1978, 32-33.

Christine Janis: Fossil ungulate mammals depicted on archaeological artifacts. Cryptozoology 6, 1987, 8-23.

Christine Janis: Sivatherium defended (response to Reese). Cryptozoology 9, 1990, 111-115.

Darren Naish 2011: What happened with that Sumerian ‘sivathere’ figurine after Colbert’s paper of 1936? Well, a lot.

David Reese: Paleocryptozoology and archaeology: a sivathere no longer (comment on Janis 1987 and Mayor 1989). Cryptozoology 9, 1990, 100-107.

Bilder: Colbert 1936, Pl. 21/22