Vier Rätsel der Anden

Die Kirche Santo Domingo in Cuzco, errichtet auf den Überresten des Sonnentempels Coricancha (McKay Savage, Wikimedia Commons)

Hochtechnologie in Cuzco?

„Mitten in Cuzco“, schreibt Erich von Däniken und illustriert das mit einem Foto[1], „steht die Kirche Santo Domingo. Bei Grabungsarbeiten wurde diese eigenartige Nische freigelegt. Die Reste einer ehemaligen, sehr präzisen Technologie sind nicht zu übersehen.“

Frank Dörnenburg hat auf seiner Homepage im Internet eine eigene Rubrik, die „Fünf-Minuten-Rätsel“, das sind Behauptungen der Prä-Astronautik, die sich leicht innerhalb dieses Zeitraumes erklären lassen. Dänikens Nische ist ein Beispiel dafür. Wer nur ein wenig über die Inka gelesen hat, der weiß schon, dass das Kloster des heiligen Dominikus dort steht, wo früher der Haupttempel der Inka, der Sonnentempel in Cuzca, stand. Erbaut wurde dieser vom Inka Yupanqui im 14. Jahrhundert – also im Mittelalter, nicht in grauer Vorzeit.[2]

Garcilaso de la Vega war ein Nachkomme der Inka, der – wie fast alle Adligen Perus – von den Spaniern bekehrt und in Ämter gesetzt wurde. Er reiste nach Spanien und schrieb dort eine Geschichte des Inkareiches, die Wahrhaftigen Kommentare, die 1609 erschienen. Garcilaso beschreibt das Inka-Reich nicht nur aus eigener Anschauung, er befragte auch seine Freunde und Familienmitglieder. Wir haben hier die einzigartige Möglichkeit, die Eroberung Perus und den Alltag der Peruaner (allerdings nur des Adels und des Königshauses) mit der Stimme der Inka zu hören. Garcilaso kennt nicht nur die vorspanische Religion und das Leben in Peru aus eigener Hand, er hatte zudem Zugang zu den geheimen Überlieferungen der Inka-Kaste. Und das schreibt er – unter anderem – über Dänikens Nische:

„An den Wänden dieser Gemächer … befanden sich, jeweilig an der Außenseite, im dicken Stein, vier Nischen, eingearbeitet in die Wände, die wie alle anderen jenes Hauses aus behauenem Stein bestanden. Diese Nischen hatten an den Kanten und in der ganzen Höhlung Kehlleisten, und entsprechend den am Stein ausgearbeiteten Kehlleisten waren die Nischen mit goldenen Platten ausgegleidet, und dies nicht nur an Wänden und Decke, sondern auch am Fußboden. Die Kanten der Kehlleisten waren mit ausgesuchten Steinen, Smaragden und Türkisen, ausgelegt, denn dortzulande gab es keine Diamenten und Rubine. In diese Nischen setzte sich der Inka an den Feiertagen der Sonne, mal in die eine, mal in die andere, je nachdem, in welche Zeit der Feiertag fiel. 
In zweien dieser Nischen, die sich in einer gen Osten schauenden Wand befanden, habe ich, so erinnere ich mich, an den Kehlleisten im Stein viele Löcher gesehen; die Kehlleisten an den Kanten gingen von einem Ende zum anderen durch, während die an den Innenwänden der Nische nur angedeutet waren. Von den Indianern und Ordensbrüdern des Hauses erfuhr ich, daß in der heidnischen Zeit an ebendiesen Stellen, über dem Gold, die Edelsteine angebracht waren.“[3]

Die „außerirdische Hochtechnologie“ stammt also aus dem 14. Jahrhundert, der Zeit, in der in Europa der Kölner Dom gebaut wurde, und Garcilaso, der selbst aus dem Geschlecht der Inka stammte und die Geschichte seuiner Vorfahren genau kannte, beschreibt sie wie folgt: Sie sprengten „gewaltige Felsen, ohne Werkzeuge aus Stahl oder Eisen zu haben, sondern [brachen] Stein mit Stein durch Muskelkraft.“[4]

Sacsahuaman

Das „Labyrinth“ von Q’inqu bei Sacsahuaman (Carolina Humanàn, Wikimedia Commons)

Genauso übrigens brachen die Inka die Steine der Mauern der Festung von Sacsahuaman, innerhalb derer, glaubt man Erich von Däniken, sich weitere außerirdische Reste erhalten haben: ein wildes Trümmerfeld aus riesigen Felsblöcken, umgestürzt, weil Treppen mit dem Kopf nach unten auf der Erde liegen. Dieses Felslabyrinth, so Däniken, kann nicht von den Inka stammen, es kann nur durch (nukleare?) Gewalt zerstört worden sein. Auf Belegstellen verzichte ich hier, in der überwiegenden Mehrheit seiner Bücher finden sich hier einschlägige Beschreibungen und Fotos.     
Wieder sollten wir auf Garcilaso hören, der drei Kapitel seines Werkes den Felstrümmern innerhalb der Festungsmauern von Sacsahuaman widmet[5]:

„Im Bau von Kellern bewiesen sie [die Inka] eine große Kunstfertigkeit; diese hatten nämlich so viele Gänge und Gassen, die gewunden und geschlungen, kreuz und quer verliefen, und so viele Türen, eine immer der anderen gegenüber und alle von ein und derselben Größe, daß man bald nach dem Betreten des Labyrinthes die Richtung verlor und nicht mehr herausfand … Als Knabe bin ich mit meinen Altersgefährten viele Male zur Festung hinaufgegangen, und da das ganze stattliche Gebäude bereits eine Ruine war, ich meine das, was über der Erde lag, und selbst vieles von dem, was darunter war, wagten wir uns in manche Teile jener Keller, die stehengeblieben waren, nur so weit vor, wie das Tagesklicht reichte … Sie verstanden nicht, bogenförmige Gewölbe zu bauen. Während sie die Wände errichteten, setzten sie für die Kellerräume Kragsteine [das sind Dänikens „Treppen“] ein … Jenes große Festungswerk war gänzlich aus geschliffenem und aus unbehauenen Stein, herrlich und in größter Vollkommenheit errichtet … Zuständig … waren vier Baumeister. Deren erster und wichtigster, dem man den Plan für das Werk zuschreibt, war Huallpa Rimachi Inka, … der, der ihm folgte, hieß Inka Maricanchi. Der dritte war Acahuana Inka … der vierte und letzte der Meister hieß Calla Cúnchuy. … Die Spanier, die auf die bewundernswerten Siege der anderen neidisch waren und die Festung hätten unterhalten … müssen, … unterhielten sie nicht nur nicht, sondern sie selber rissen sie ab, um die Privathäuser zu bauen, die sie heute in Cuzca besitzen. … Dergestalt wurde jene erhabene Größe zerstört … Der Beginn des Baues … geht auf den guten König Yupanqui zurück, den zehnten der Inka. [1471-1493] … Seine Fertigstellung dauerte länger als fünfzig Jahre … [Dann kamen die Spanier,] die das Bauen vollends unterbanden und die Bauten abrissen, in welchem Zustanbd sie sich heute befinden.“[6]

Garcilaso, aus dem Geschlecht der Inka, berichtet also, wer die Architekten waren, wann das „Trümmerfeld“ errichtet wurde, was die eigentümlichen Treppen in Wirklichkeit sind und wer für die Zerstörung zuständig war. Dass Erich von Däniken das Trümmerfeld innerhalb der Festungsmauern nach wie vor als großes Rätsel in seinen Büchern führt, bedeutet wohl, dass er nicht einmal die nahe liegendsten Quellen ausgewertet hat. Tatsächlich findet sich bei seinen Phantasterien zu Sacsahuaman keine Quellenangabe – vermutlich hat ihn die Ruine so beeindruckt, dass er fürchtete, jede noch so gringe Recherche könnte dieses Indiz entkräften. So hat er lieber fabuliert. Garcilaso, der alles aus eigener Hand noch erlebt hatte – unter anderem waren die Bauarbeiten ja noch im Gange – weiß es besser.

Im „Labyrinth“ (Ljuba brank, Wikimedia Commons)

Der Allosaurus

Johannes Fiebag hat bei einer seiner Expeditionen nach Südamerika ein faszinierendes Indiz für die Paläo-SETI-Hypothese entdeckt: die detailgetreue Darstellung eines längst ausgestorbenen Dinosauriers[7] auf einer Keramikvase der Mochica-Kultur.   
Dort sind zwei Figuren abgebildet, die sich wie beim Catchen gegenseitig Fäuste ins Gesicht schlagen. Doch – es sind keine Menschen, zumindest nach Fiebag – sondern „die Abbildung ist so eindeutig, daß sie einem modernen Saurier-Bildband entnommen sein könnte … [Die Keramikvase zeigt] ohne jeden Zweifel zwei bipede Saurier (möglicherweise Allosaurier) im Kampf.“  
Schwer einzuschätzen ist, was Fiebag unter einem Dinosaurier-Bildband verstand – vermutlich ein Urmel-Buch. Denn tatsächlich stimmen – zum ersten – die Proportionen der angeblichen Dinos nicht: Der Kopf ist zu klein, der Oberkörper zu groß, die Arme sind zu lang, der Unterkörper ist zu winzig. Die Proportionen der „Dinosaurier“ sind die eines Menschen. Zum zweiten stimmen die anatomischen Details nicht: Bipede Raubdinosaurier hatten keine Hände, die sie zu Fäusten ballen konnten, sondern nur zwei bis drei krallenbewehrte Finger. Boxende Dinosaurier finden wir ebenfalls in keinem „modernen Bildband“, sondern nur in japanischen Gozilla-Filmen, wo Menschen in Plastikanzügen überlebende Riesensaurier darstellten. Dann fehlen Fiebags Dinosauriern die großen, spitz zulaufenden fleischigen Schwänze – sie haben keine. Schließlich gibt es ein biologisches Kriterium, nach dem man Reptilien und Säugetiere unterscheiden kann: Bei Säugetieren geht der Mund, wird der Kopf im Profil betrachtet – niemals über die Augen hinaus. Bei Sauriern sitzt das Auge über dem Mund, manchmal über dessen Mitte. Auf der Vase sind menschenähnliche Wesen dargestellt – mit Dinosauriern haben sie keine Ähnlichkeit. Wenn Fiebag in den Wesen ohne Schwanz und mit Säugetierköpfen „ohne Zweifel“ Dinosaurier erkennt, dann phantasiert er im besten Falle, verdreht im schlimmsten Falle die Tatsachen, weil er seine Leser für dumm verkaufen will.

Atomkrieg in Tiwanaku?

Und wieder Johannes Fiebag: In seinem Beitrag „Neue Entdeckungen in Bolivien und Peru“[8] schreibt der Altmeister der wissenschaftlichen Paläo-SETI, die Ruinen von Tiwanaku, besonders das Trümmerfeld Puma Punku, in Südamerika wirkten so, als seien sie gewaltsam zerstört worden: „Was wirbelte dann die gewaltigen Steinblöcke jenseits der Mondpyramide durcheinander? Welches eng begrenzte Ereignis vermag Derartiges zu bewirken? Hier ist die Annahme einer gezielten Sprengung wohl nicht ganz abwegig.“ Der Leser darf sich den Rest denken – Dynamit hatten die Inka nicht; waren es etwa kriegerische Aliens mit Superwaffen? Doch, Fiebag zum Trotz, wir wissen längst, welche „nicht ganz abwegigen Annahmen“ wir über die Zerstörung von Puma Punku anstellen können. Die Tatsachen sind längst bekannt, aber offenbar kennt Fiebag die grundlegende Literatur nicht.           
Als die Spanier Peru eroberten, stand die Stadt Tiwanaku noch, verlassen zwar, aber Stein auf Stein. Der spanische Chronist Pedro de Cieza de León schreibt 1553, dass die Gebäude zu seiner Zeit noch intakt waren.[9] Und auch Garcilaso kennt die fast intakten Ruinen 1609 noch.[10]

Die Ruinen des Puma-Punku-Tempels in Tiwanaku (Benjamin Burga, Wikimedia Commons)

Es ist der Spanier P. Bernabé Cobo, der in seiner Historia del Neuvo Mundo (Geschichte der Neuen Welt) im Jahre 1653 beschreibt, wie Puma Punku zerstört wurde. Es sei ein „abgeflachter Hügel, etwa 3 m hoch, der auf Fundamenten aus großen Steinen ruht.“ In dieser Form sei er erhalten geblieben, bis die Spanier, die „wahrhaft in ihrer Gier (nach dem Schatz), der dort nach dem Glauben der Leute verborgen lag“, das Bauwerk zerstört hatten.[11]         
Selbst bei Erich von Däniken hätte Fiebag sich schlau machen können, hätte er denn recherchieren und nicht nur Rätsel erschaffen wollen. In Reise nach Kiribati[12] hätte er erfahren, dass noch Anfang des 20. Jahrhunderts „eine Einheit der bolivianischen Armee Schießübungen“ auf Puma Punku veranstaltete und somit diesen Tempelberg mit seinen Statuen und Toren endgültig zertrümmerte, nachdem – so wieder Erich von Däniken – die „Spanier und nach ihnen die Indios Kleinschlag machten und forttrugen, was sich tragen und schleppen ließ.“
Ein Rätsel ist die Zerstörung in Puma Punku nicht – ein Rätsel bleibt, warum die „wissenschaftliche Paläo-SETI-Forschung“ ernst genommen werden will, wenn sie beständig mit solchen 5-Minuten-Rätseln operiert, die längst gelöst sind und nirgendwo sonst Bestand haben als in den Phantasien ihrer Schöpfer.
Man mag mir vorwerfen, das sei Polemik, dennoch ist es schwer, sich unpolemisch mit Behauptungen zu Sacsahuaman auseinanderzusetzen, die einfach das, was Augenzeugen wussten, ignorieren zugunsten von unbelegten Behauptungen über überlegene Technologie. Da wird aus einer um 1500 gebauten Inkaburg eine außerirdische Basis, aus einer Menschendarstellung ein Dinosaurier, aus einer Nische in einem Tempel das Relikt einer Alientechnologie, aus menschlichem Vandalismus einer modernen Armee ein suggerierter Atomkrieg von ET.

Dieser Artikel erschien bereits im Mysteria3000-Magazin Ausgabe 2/2003, 50–53.


[1] von Däniken, E. 1990: Die Spuren der Außerirdischen, München, 136.

[2] de la Vega, G. 1986: Wahrhaftige Kommentare, Berlin, 135.

[3] de la Vega 1986, 140.

[4] de la Vega 1986, 205.

[5] de la Vega 1986, 257–270.

[6] de la Vega 1986, 267–270.

[7] „Neue Entdeckungen in Bolivien und Peru“, Ancient Skies 3/1995.

[8] Ancient Skies 3/1995, 10.

[9] Cieza de León, P. 1971: Auf den Königsstraßen der Inkas, Stuttgart, 438.

[10] de la Vega 1986, 109–112.

[11] Morrison, T. 1978: Pathways to the Gods, Salisbury, 146.

[12] Bastei Lübbe: Bergisch Gladbach 1994, 224.

Ulrich Magin lebt nahe Bonn und ist Autor des Buchs „Megalithen in Deutschland: Rätselhafte Großsteingräber, Hinkelsteine und Steinkreise“ (Nikol).