Meganthropus palaeojavanicus – “Riesenmensch des alten Java”

  1. Erich von Däniken und die Riesenzähne
  2. Meganthropus palaeojavanicus – “Riesenmensch des alten Java”
  3. Der Knochen von Berg Aukas

Das Unterkieferfragment Sangiran 6a “Meganthropus“ (Bildquelle)

Viele Sagen und Mythen berichten, in grauer Vorzeit seien die Menschen weit größer gewesen als heutzutage oder hätten mit einem Volk von Riesen koexistiert – Ideen, die heute nur noch von einschlägigen Grenz- und Pseudowissenschaftlern vertreten werden. Doch ist es gar nicht lange her, dass ähnliche Theorien auch in der Paläoanthropologie ernsthaft diskutiert wurden. In seinen Büchern Giant early Man from Java and south China (1945) und Apes, Giants and Man (1946) beschrieb der Anthropologe Franz Weidenreich einen jüngst entdeckten hünenhaften Urmenschen, weit größer als heutige Primaten und Menschen: Die Rede ist von Meganthropus palaeojavanicus – eine Art, die heute in keinem populären Werk zur menschlichen Evolution mehr Erwähnung findet. Was hat es auf sich mit dem „Riesenmensch des alten Java“?

Forschungsgeschichte

In den 1940er Jahren befand sich die Paläoanthropologie in einer Phase sprunghafter Entwicklung – ein jedes neu entdeckte Urmenschenfossil vermochte die bisherigen Theorien zu revolutionieren. Obwohl bereits Charles Darwin die Ursprünge der Menschheit in Afrika vermutet hatte, da dort mit den Gorillas und Schimpansen auch dessen nächste Verwandte zu finden waren, lag der Schwarze Kontinent zu jener Zeit weitgehend außerhalb des Fokus der Forschung. Erst Jahre später würden die Anerkennung des bereits 1924 entdeckten „Kindes von Taung“ (Australopithecus africanus) und die Entdeckung weiterer afrikanischer Fossilien wie „Lucy“ (Australopithecus afarensis) und Homo habilis dies ändern und endlich die lange gesuchten „Missing links“ zwischen Menschenaffen und Menschen liefern.    
Stattdessen konzentrierte sich die anthropologische Forschung vor allem auf Südostasien: An der Fundstelle Trinil auf der Insel Java entdeckte Eugène Dubois bereits 1891 den Schädel, Backenzahn und Oberschenkelknochen eines Urmenschen, der als Pithecanthropus (heute Homo) erectus, „aufrechter Affenmensch“ beschrieben wurde. Gemeinsam mit dem heute ebenfalls Homo erectus zugeordneten „Peking-Menschen“ war dieser „Java-Mensch“ seinerzeit bester Anwärter auf die unmittelbare Vorfahrenschaft des Menschen.     
Ab 1937 wurden an der Fundstelle Sangiran, ebenfalls Java, erneut mehrere Dutzend Zahn- und Knochenfragmente – darunter auch ganze Schädel – prähistorischer Hominiden aus der Zeit zwischen 1,5 und 1 Million Jahren vor unserer Zeit entdeckt.[1] Eine weitere spektakuläre Entdeckung war Gustav Heinrich Ralph von Koenigwald in China gelungen, wo er als „Drachenzähne“ in Apotheken angebotene Fossilien als Überreste eines gewaltigen Hominiden namens Gigantopithecus identifizierte (vgl. Urgeschichtliche Riesen I: Erich von Däniken und die Riesenzähne).

Es war ebendieser von Koenigswald, der seinem Kollegen Weidenreich 1941 den Abguss eines Kieferfragments sandte, das er kurz zuvor an der Fundstelle Sangiran auf Java entdeckt hatte. Besagter Kieferknochen (Sangiran 6a) hatte eine massive Gestalt: In Höhe wie Dicke übertraf er jeden bis dahin bekannten Hominiden, doppelt so dick sogar wie der eines männlichen Gorillas.[2] Jene Art, so Weidenreichs Schlussfolgerung, musste von gewaltiger Statur gewesen sein.        
Nach von Koenigswalds Vorschlag publizierte er die neue Art 1945 unter dem Namen Meganthropus palaeojavanicus mitsamt den daraus resultierenden Implikationen für den menschlichen Stammbaum: Denn Meganthropus, so war sich Weidenreich sicher, musste ein Vorläufer des heutigen Menschen gewesen sein, wenn auch noch archaischer als Pithecanthropus erectus.[3] Auch den noch größeren Gigantopithecus betrachtete er als direkten Vorfahren und schloss daraus, es müsse in der menschlichen Evolution generell eine Entwicklung von großen, primitiven Formen hin zu kleineren, menschenähnlicheren gegeben haben.[4]
Weidenreich erkannte durchaus, dass auf Basis der spärlichen Überreste kaum eine verlässliche Größenrekonstruktion möglich wäre, und enthielt sich daher einer expliziten Höhenangabe.[5] Stattdessen schätzte er nur, der Meganthropus müsse deutlich größer als jeder heutige Gorilla gewesen sein, wiederum um die Hälfte überragt von dem auf doppelte Gorillagröße geschätzten Gigantopithecus.[6] Ausgehend von einem 1,75 m großen Gorilla würde dies bei gleichen Proportionen eine Körperhöhe von rund 3,5 m für Gigantopithecus und 2,33 m für Meganthropus bedeuten. Eine auf Gorillas basierende Bruchrechnung steht jedoch vor dem Problem des unterschiedlichen Körperbaus: Gorillas haben verhältnismäßig kürzere Beine als Menschen, wobei Weidenreich den Meganthropus lieber zu letzteren gesellen wollte.    
Die offizielle Beschreibung der Art M. palaeojavanicus geschah 1950 durch G. H. R. von Koenigswald.[7] Noch im selben Jahr schlug Hans Weinert vor, auch zwei 1939 in Laetoli (Tansania) gefundene Fossilien – ein Oberkieferbruchstück mit einem Prämolar sowie einen einzelnen Molaren – der Gattung Meganthropus zuzuordnen. Zuvor als Africanthropus bezeichnet, beschrieb Weinert sie nun als Art Meganthropus africanus.[8] Später wurden die Funde jedoch als der Art Australopithecus afarensis zugehörig erkannt. Auch Weinert vertrat die Auffassung von der Menschlichkeit sowohl des Meganthropus als auch des in China entdeckten Gigantopithecus („Riesen-Menschenaffe“), für den er sogar eine Namensänderung in Giganthropus („Riesen-Mensch“) vorschlug.[9]

Der Hype um die spektakuläre Artbeschreibung blieb jedoch von verhältnismäßig kurzer Dauer: Mit der Etablierung der Australopithecinen als Vorfahren des Menschen verlor Meganthropus an Relevanz als evolutionäres Bindeglied, in den folgenden Jahrzehnten verschwand er weitgehend aus der Aufmerksamkeit der paläoanthropologischen Forschung.
Schon wenige Jahre nach der Entdeckung zog man sogar die Deutung als eigene Gattung in Zweifel: 1954 wurde eine Zuordnung der Fossilien zu der nahe verwandten Gattung Paranthropus aus Afrika vorgeschlagen, jedoch ohne nachhaltigen Erfolg. Spätere Forscher sahen die Fossilien vielmehr als Spezimen des Homo erectus, seltener Homo habilis, an.[10]
Indes blieb Meganthropus viele Jahrzehnte lang vor allem als obsoleter Name der frühen Forschungsgeschichte bekannt, dessen exakte verwandtschaftliche Einordnung strittig war. Drei weitere auf Java entdeckte Schädelfragmente („Meganthropus“ I–III) wurden schließlich ebenfalls der nicht mehr sicher existierenden Art zugeordnet, welche man in diesem Zusammenhang als lokale Abspaltung von Homo erectus deutete.[11]

Grenzwissenschaftliche Rezeption

Meganthropus nach Micah Ewers (Quelle)

Eine gänzlich andere Rezeption erlebte Meganthropus stattdessen in grenzwissenschaftlichen Publikationen, wobei er in zwei unterschiedlichen Traditionen rezipiert wird. Bei der ersten handelt es sich hierbei um die „Riesenforschung“, die meist im Kontext von Prä-Astronautik, Kreationismus und/oder katastrophistischen Weltmodellen beheimatet ist.
In seinem Addendum zu dem frühen grenzwissenschaftlichen Werk Atlantis und die Herrschaft der Riesen (Atlantis et la règne des géants, 1954, dt. 1955) von Denis Saurat spekuliert der Archäologe Louis Burkhalter über die Realität vorzeitlicher Riesenmenschen: Meganthropus mit einer angeblichen Größe von 2,25 m und auch „Giganthropus“ (= Gigantopithecus) mit 2,75 m werden als Repräsentanten einer in Asien beheimateten menschlichen Entwicklunglinie gedeutet, die schließlich ausstarb, während die in Afrika verbliebene Gattung sich zum Homo sapiens weiterentwickelte. Als zentrales Beweismittel gelten Burkhalter jedoch vielmehr die Funde überdimensionaler Faustkeile in Marokko und anderen Ländern.[12] Somit kommt er zu dem Schluss, „daß die Existenz von riesenhaften Menschenrassen in der Acheuléen-Epoche als eine wissenschaftlich gesicherte Tatsache betrachtet werden kann“ – ein Zitat, das immer wieder (oft aus dem Zusammenhang gerissen) von späteren Grenz-/Pseudowissenschaftlern zitiert wurde.      
Zu letzteren zählt auch Erich von Däniken, der Teile von Burkhalters Thesen und Argumenten für seine prä-astronautischen Theorien übernahm: In mindestens drei Büchern erwähnt er den „Riese[n] von Java“[13] bzw. „Funde von Riesenskeletten auf Java“[14] – jeweils nur nebensächlich und ohne weitere Ausführungen, in allen Fällen in einer Reihe mit angeblichen Riesenfunden aus Südchina (= Gigantopithecus) und Transvaal, Südafrika. Bei der Erwähnung von „Riesenskeletten“ handelt es sich hierbei um eine offenkundige Falschdarstellung der deutlich bescheideneren Zahn- und Knochenfunde, ähnlich wie dies auch schon für die ähnlich gearteten Gigantopithecus-Zähne aus China geschah.[15]     
Etwas umfangreicher geht Patrick Chouinard im Buch Lost Race of the Giants (2013) auf Meganthropus ein, wobei im Wesentlichen die Spekulationen Weidenreichs zitiert werden.[16] Keine Erwähnung findet Meganthropus hingegen in den gigantologischen Werken von Ross Hamilton (A Tradition of Giants), Richard Dewhurst (The Ancient Giants who Ruled America) oder Hugh Newman und Jim Vieira (Giants of Record).

Die zweite Rezeptionslinie liegt in der Kryptozoologie, genauer der Hominologie, wo Meganthropus ebenso wie der bekanntere Gigantopithecus wiederholt als möglicher Verwandter moderner Hominoiden wie Yeti und Bigfoot gehandelt wurde. Bernard Heuvel­mans, Begründer der heutigen Kryptozoologie, erwähnt Meganthropus, der 8 bis 10 Fuß gemessen habe, zusammen mit Gigantopithecus in seinem Grundlagenwerk On the Track of Unknown Animals als möglichen Ursprung von Überlieferungen über Riesen und hünenhafte Wildmenschen.[17] So könnte eine Reliktpopulation einer der beiden Arten, wobei jedoch Gigantopithecus bevorzugt wird, auch den Berichten über den Yeti des Himalaya zugrundeliegen.[18] Ähnliche Spekulationen bis hin zu einer Ausbreitung nach Amerika tätigten auch die Kryptozoologen Ivan T. Sanderson (Abominable Snowmen, 1961[19]) und Loren Coleman (True Giants: Is Gigantopithecus still alive?, 2010).

Im Zentrum beider Traditionen steht allein die mutmaßliche Größe des Meganthropus, die zur Identifikation mit hünenhaften Affenmenschen und/oder mythischen Riesen herangezogen wird. Allenfalls ergänzt durch gewisse Anekdoten zur Forschungsgeschichte, finden sich bei keinem der grenzwissenschaftlichen Rezipienten weiterführende Informationen oder Erörterungen. Meist tritt Meganthropus hierbei hinter dem oft in einem Atemzug genannten und stets identisch interpretierten Gigantopithecus zurück. Aufgrund der kargen Fundlage ist er selbst ganz offensichtlich nicht sehr ergiebig für einschlägige Theoriebildung. Als herauszustellendes Merkmal bleibt allein, dass es sich bei M. palaeojavanicus um einen (scheinbar) wissenschaftlich anerkannten „Riesenfund“ handelt.           
Keiner der genannten Autoren geht bei seinen Theorien auf die offenkundige chronologische Schwierigkeit ein, die sich bei der Verbindung mit mythischen Riesen oder (angeblich) rezent beobachteten Affenmenschen ergibt: Die Funde datieren in das Altpleistozän vor rund einer Million Jahren, lange vor dem Beginn jeder menschlichen Überlieferung. Solange keine Belege für ein Überleben des Meganthropus bis in historische Zeiten bestehen, bleibt seine Heranziehung somit ebenso zweifelhaft-spekulativ wie jede andere Hypothese über das Überleben prähistorischer Spezies zur Erklärung von Phänomenen der jüngeren Kulturgeschichte.

Wiederherstellung der Gattung

Die langjährige Unklarheit hinsichtlich der stammesgeschichtlichen Einordnung änderte sich schließlich mit einer neuen Untersuchung der Zahn- und Kieferfunde im Jahr 2019 (Zanolli u.a.: Evidence for increased hominid diversity in the Early to Middle Pleistocene of Indonesia). Entgegen früheren Annahmen zeigte ein Vergleich der Zähne mit anderen Menschen- und Affenarten deutliche Unterschiede zu Spezimen der Gattung Homo:

„Meganthropus is distinguished from Homo by having absolutely large teeth, a mandibular corpus with a thick and rounded inferior border, a large extramolar sulcus and strong lateral prominence, molarized premolars and low molar crowns with coarse wrinkling converging towards the centre of the occlusal surface.”

Trotz einiger Gemeinsamkeiten wurden auch klare Unterschiede zu den nächstverwandten Gattungen Australopithecus und Paranthropus bemerkt:

„Meganthropus differs from these two hominins by its ape-like occlusal wear pattern […], thicker peripheral enamel […], lower EDJ topography and more slender pulp chamber with vertically elongated pulp horns[20]

Ebenso finden sich deutliche Unterschiede zu den Gattungen Pongo (Orang-Utan) und Gigantopithecus. Angesichts dieser einzigartigen, klar von allen anderen Gattungen und Arten unterscheidbaren Morphologie der Zähne kommen die Autoren der Studie zu der Schlussfolgerung, Meganthropus als eigene Gattung wiederherzustellen.   
Weiterhin konnte anhand der Zahnmorphologie festgestellt werden, dass es sich anders als früher angenommen nicht um einen Homininen, also menschlichen Vorfahren bzw. Urmenschen, sondern vielmehr eine weitere Art von Menschenaffen handelte. Unter diesen bestünde trotz gewisser Unterschiede die größte Ähnlichkeit zu der im miozänen Südostasien verbreiteten Gattung Lufengopithecus. Ganze drei bis vier Gattungen von Hominiden wären somit bis ins Mittelpleistozän im prähistorischen Indonesien beheimatet gewesen: Homo, Pongo (Orang-Utan), Meganthropus sowie möglicherweise Gigantopithecus.[21]   
Als Holotyp der wiederauferstandenen Gattung dient nunmehr das Kieferfragment Sangiran 6a. Neben den schon Weidenreich und von Koenigswald bekannten anderen Sangiran-Zähnen wurden der Gattung nun auch weitere Funde der Fundstätte Trinil zugeordnet.     
Doch auch wenn es sich bei Meganthropus nicht um einen Urmenschen, sondern vielmehr einen Menschenaffen handelte: Wie steht es um die Körpergröße, die Franz Weidenreich sogar zum Wort „Giant“ in den Titeln seiner Veröffentlichungen veranlasste? Über die einstigen Körpermaße, gar einen möglichen Riesenwuchs schreibt die neue Studie nichts. Es werden allein die außergewöhnlich großen Zähne erwähnt und mit anderen fossil belegten „Megadonten“ verglichen.[22]          
Hierbei stellt sich schließlich die Frage: Wie zuverlässig kann eine Rekonstruktion der Gesamtkörpergröße nur auf Basis einzelner Zähne und Kieferfragmente überhaupt sein?

Größenrekonstruktion auf Basis der Zähne?

Der Kiefer des “Riesenaffen von Luntsai”
(Bild: Wen-Chung 1957, 835)

In der Regel werden zur Rekonstruktion der Körperhöhe bei toten Individuen die Langknochen (Arm- und Beinknochen) herangezogen, wobei eine Unschärfe von einigen Zentimetern bleibt. Gilt eine solche Korrelation auch zwischen Zahn- und Körpergröße, wie Weidenreich und andere annahmen?
Bereits 1958 veröffentlichten Stanley M. Garn und Arthur B. Lewis eine Studie in Reaktion auf die gewagten Größenrekonstruktionen von Gigantopithecus, Meganthropus und dem kurz zuvor entdeckten „Riesenaffen von Luntsai“ (einem weiteren Kiefer des Gigantopithecus[23]). Das Ergebnis: ernüchternd.     
Garn und Lewis kamen zu dem Schluss, dass in Bezug auf vorzeitliche Hominiden keine nennenswerte Korrelation zwischen Zahn- und Körpergröße bestehe. Unter verschiedenen untersuchten Menschen- und Vormenschenarten (Meganthropus hier noch ausgenommen) gehörten die nach absoluten Maßen größten Zähne zu den eher klein gewachsenen Australopithecinen wie Paranthropus und Plesianthropus – während die kleinsten Zähne sich ausgerechnet bei weißen Amerikanern der Gegenwart fanden, der körperlich größten der untersuchten Gruppen.[24] Mit einiger Vorsicht sei sogar eine negative Korrelation zwischen Kiefer- und Gesamtgröße in Betracht zu ziehen.[25] Zwischen verschiedenen Ethnien des modernen Menschen gebe es überhaupt keine Korrelation zwischen Zahn- und Körpergröße[26], ebenso wenig zwischen verschiedenen Individuen derselben Population[27]. Im Endeffekt schließen Garn und Lewis, dass es keinen Grund gebe, bezüglich Meganthropus, Gigantopithecus und dem Luntsai-Riesen von wirklichen Riesenformen auszugehen.

Schädel eines Australopithecus (Nachbildung), Upper Galilee Museum of Prehistory (Ma’ayan Baruch, Israel):
Man beachte den massiven Kiefer. (Bild LI)

Vielmehr sei die Größe von Zähnen und Kiefern abhängig von anderen Faktoren als der bloßen Körperhöhe, so vor allem der Ernährung: Aufgrund der deutlich kauintensiveren Nahrung besitzen Pflanzenfresser größere Zähne und stärkere Kiefer als Fleischfresser. Hinzu kommt bei den späteren Menschenformen neben dem zunehmenden Fleischkonsum die Etablierung gekochter bzw. gebratener und somit leichter zu kauender Nahrung, was eine weitere Rückbildung der Zähne und Kiefermuskulatur bewirkt. Die vermeintlichen Riesenformen könnten also vielmehr auf widerstandsfähige Nahrung spezialisierte Vegetarier von moderater Größe gewesen sein, wie man es ja auch für die Australopithecinen annimmt.[28] Es sei schließlich unglaubwürdig, wären die Urmenschen bei ähnlicher Zahngröße in Afrika „fünf Fuß große Pygmäen“, in Asien dagegen „zwölf Fuß große Riesen“ gewesen. Oder, um es zusammenzufassen: „The simplest and most economical explanation is that the big-toothed forms were simply big-toothed forms”.[29] Zu ähnlichen Schlüssen über die Ernährung des Meganthropus kommt auch Dr. Ottmar Kullmer, Co-Autor der Studie von 2019: „Wir gehen daher davon aus, dass sich die ‚wiederbenannte’ Art ähnlich wie die modernen Orang-Utans, hauptsächlich von Früchten und anderen über der Erde wachsenden Pflanzenteilen, ernährte.“[30]

Fazit und Ausblick

Bietet Meganthropus palaeojavanicus also anthropologische Belege für eine Existenz übergroßer Menschenformen in der Altsteinzeit?          
In der Zeit Weidenreichs und von Koenigswalds wurden solche Szenarien in der Paläoanthropologie ernsthaft diskutiert. Doch die Evidenz verdichtete sich gegen die Hypothese. Weidenreich selbst war bereits bewusst, wie unzuverlässig eine Größenrekonstruktion nur auf Basis von Zahn- und Kieferfragmenten sein musste – was ihn jedoch nicht davon abhielt, letztendlich doch genau dies zu postulieren.        
Heute dagegen ist die wissenschaftliche Faktenlage zu Meganthropus palaeojavanicus eindeutig: Bei diesem handelte es sich um einen Menschenaffen, nicht um einen Vor- oder Frühmenschen. So ist auch die bei einer Verbindung mit legendären Riesen oder Affenmenschen implizit vorausgesetzte Zweibeinigkeit durch nichts zu belegen.     
Ein hypothetischer Riesenwuchs basiert allein auf der Annahme einer Korrelation zwischen Zahn- (bzw. Kiefer-) und Gesamtkörpergröße, die unter Hominiden nicht nur nicht belegt, sondern in der Tat nicht vorhanden ist. Wie groß Meganthropus wurde, wissen wir nicht. In der Wissenschaft spielt eine solche Rekonstruktion daher keine Rolle mehr.      
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass dieselbe Entwicklung für den chinesischen „Riesenaffen“ Gigantopithecus blacki nicht zu beobachten ist: Auch jener ist fast nur durch Zähne und Kieferknochen belegt, die Rekonstruktion der einstigen Körpergröße also ebenso zweifelhaft. Bereits 1979 wurde in einer Studie von A. E. Johnson auch für diesen eine bescheidenere Größe vorgeschlagen, die rund 20–25 % längere Langknochen als die eines heutigen Gorillas annimmt.[31] Dessen ungeachtet wird Gigantopithecus in (populär)wissenschaftli­chen Publikationen nach wie vor durchgehend als Riesenaffe von bis zu oder gar mehr als drei Metern Körperhöhe dargestellt.[32]      
Während die Rezeption durch die Grenzwissenschaft auf dem Stand der 40er Jahre stehengeblieben ist, hat sich das Bild in der Forschung gänzlich gewandelt: Sowohl Gigantopithecus als auch Meganthropus sind mittlerweile zugunsten einer Einordnung als bloße Menschenaffen aus der Reihe der menschlichen Ahnen gestrichen worden. An ihre Stelle traten neue, größtenteils in Afrika entdeckte Spezies wie Australopithecus und Homo habilis, gefolgt von späteren Formen wie Homo erectus, H. heidelbergensis etc. Doch auch ohne den unmittelbaren Bezug zur menschlichen Abstammungslinie bleibt Meganthropus eine interessante, wenngleich heute wenig beachtete Episode der Forschungsgeschichte.

Quellen

Burkhalter, L. 1955: Über die Funde gigantischer altsteinzeitlicher Werkzeuge und ihre Konsequenzen, in: D. Saurat, Atlantis und die Herrschaft der Riesen, Stuttgart, 200–204.

Chouinard, P. 2013: Lost Race of the Giants. The Mystery of Their Culture, Influce, and Decline throughout the World, Rochester/Toronto.

von Däniken, E. 2001: Im Namen von Zeus. Griechen – Rätsel – Argonauten, München.

von Däniken, E. 1977: Beweise. Lokaltermin in fünf Kontinenten, Düsseldorf/Wien.

von Däniken, E. 1969: Zurück zu den Sternen. Argumente für das Unmögliche, Düsseldorf.

Dixon, D. 2016: The Complete Illustrated Encyclopedia of Dinosaurs & Prehistoric Creatures, London.

Garn, S. M. / Lewis, A. B. 1958: Tooth‐Size, Body‐Size and “Giant” Fossil Man. American Anthropologist 60/5, 874–880.

Heuvelmans, B. 1970: On the Track of Unknown Animals, London.

Johnson, A. E. 1979: Skeletal estimates of Gigantopithecus based on a Gorilla analogy. Journal of Human Evolution 8, 585–587.

Jördens, J. 2019: Mysteriöser Menschenaffe aus Java entlarvt. Pressemitteilung vom 08.04.2019.

von Koenigswald, G. H. R. 1950: Fossil hominids of the Lower Pleistocene of Java: Trinil. Proceedings of the 18th International Geological Congress. International Geological Conference, 59–61.

Sanderson, I. T. 1961: Abominable Snowmen: Legend come to Life, Philadelphia/New York.

Schwartz, J. H. / Tattersall, I. 2003: The Human Fossil Record. Volume Two. Craniodental Morphology of Genus Homo (Africa and Asia), Hoboken.

Tyler, D. E. 2001: Meganthropus” cranial fossils from Java. Human Evolution 16/2, 81–101.

Weidenreich, F. 1945: Giant early Man from Java and south China. Anthropological Papers of the American Museum of Natural History 40/1, New York.         

Weidenreich, F. 1946: Apes, Giants and Man, Chicago.

Weinert, H. 1950: Über die neuen Vor- und Frühmenschenfunde aus Afrika, Java, China und Frankreich. Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 42/1, 113–148.

Wen-Chung, P. 1957: Giant Ape’s Jaw Bone Discovered in China. American Anthropologist 59/5, 834–838.

Zanolli, C. u.a. 2019: Evidence for increased hominid diversity in the Early to Middle Pleistocene of Indonesia. Nature Ecology & Evolution 3, 755–764.

Siehe auch:
Urgeschichtliche Riesen I – Erich von Däniken und die Riesenzähne


[1] Schwartz / Tattersall 2003, 482 f.

[2] Weidenreich 1946, 52 f.

[3] Weidenreich 1945, 103, 123.

[4] Ebd., 124.

[5] Weidenreich 1946, 60.

[6] Weidenreich 1946, 61.

[7] Von Koenigswald 1950.

[8] Weinert 1950, 139–141.

[9] Weinert 1950, 124.

[10] Schwartz / Tattersall 2003, 483.

[11] Tyler 2001.

[12] Burkhalter 1955, 200–204 – zitiert nach Atlantisforschung.de: Die Riesen des Acheuléen.

[13] EvD, Zurück zu den Sternen (2015), 48.

[14] EvD, Beweise (2015), 271 / Im Namen von Zeus (2015), 15.

[15] Vgl. Kramer 2021: Urgeschichtliche Riesen I – Erich von Däniken und die Riesenzähne.

[16] Chouinard 2013, 89-92.

[17] Heuvelmans 1970, 112 f.

[18] Heuvelmans 1970, 124.

[19] Sanderson 1961, 386.

[20] Zanolli u.a. 2019, 760.

[21] Ebd., 761.

[22] Ebd., 759.

[23] Zum „Riesenaffen von Luntsai“ siehe Wen-Chung 1957.

[24] Garn/Lewis 1958, 875 f.

[25] Ebd.

[26] Ebd., 876 f.

[27] Ebd., 877.

[28] Ebd., 878.

[29] Ebd., 879.

[30] Nach Jördens 2019 (Kommasetzung so im Text).

[31] Johnson 1979, 567: „In the absence of the tell-tale post-cranial skeletons of these enigmatic hominoids, we can never be sure of weight or stature. The figures presented in this paper, however, suggest that these fossil primates were probably not the 12 ft “giants” they are often suggested to have been.“

[32] z.B. Dixon 2016, 502 und viele andere.