Der Dronninghoi in Schuby – Die Schwarze Margret und der enthauptete Krieger

Das Dorf Schuby (Kreis Schleswig-Flensburg, SH) liegt nicht weit der Stadt Schleswig, nur rund vier Kilometer entfernt vom berühmten Danewerk. Dort, auf dem Grundstück des alten Dorfkrugs, befindet sich ein unscheinbarer Hügel, dessen heutiges Erscheinungsbild mit Bank und Gartenzwergen nichts Ungewöhnliches vermuten lässt. In der Archäologie als Grabhügel 41 – einer unter zahlreichen in der Umgebung – katalogisiert, ist er den meisten Menschen vor allem als Dronninghoi oder Dronninghöj („Königin-Hügel“) bekannt. Über diesen erzählt man sich bis heute eine Sage, die Karl Müllenhoff im Jahr 1845 folgendermaßen aufzeichnete:

„Am Deckerkruge bei Schuby, in der Nähe der Lohheide bei Schleswig, ist ein kleiner Hügel, den man Dronningshoi nennt. Er ist von Soldaten aufgeworfen, indem sie die Erde in ihren Helmen zusammen trugen. Hier hat die swarte Margret einmal einen anderen Fürsten erschlagen.
Sie hatte nämlich Krieg mit ihm. Aber da sie sah, daß es ihr nicht gut gehn werde, schickte die alte listige Frau zu ihm und ließ ihm sagen, daß es doch unrecht wäre, daß so viele tapfere Leute um ihretwillen sterben sollten; besser wäre es, daß sie und er allein den Streit ausmachten. Der Fürst dachte mit der Frau wohl auszukommen und nahm das Anerbieten an. Als sie nun miteinander fochten, sagte die Königin zu ihm, er möchte ihr doch einen Augenblick Zeit geben, sie wolle nur ihre Sturmhaube, wie man sie damals trug, ein wenig fester binden. Der Fürst erlaubte ihr das; sie aber sagte, daß sie ihm doch nicht trauen dürfe, wenn er nicht sein Schwert bis an die Parierstange in den Grund stecke. Auch das tat der Prinz. Aber da ging sie auf ihn los und schlug ihm den Kopf ab.
Er ist in Dronningshoi begraben, und die Leute, die dabei wohnen, haben ihn da noch oft sitzen sehen vor einer silbernen Tafel, mit einem silbernen Teetopf, einer silbernen Milchkanne und einer silbernen Tasse.“[1]

Bei der „Schwarzen Margret“ (auch Swarte Gret o.ä.) handelt es sich ursprünglich um Magarete Sambiria von Dänemark (* um 1230, † 1. Dezember 1282). Als Tochter Herzog Sambors II. von Pommerellen und Mechthilds von Mecklenburg heiratete sie 1248 König Christoph I. von Dänemark. Nach dessen frühem Tod 1259 regierte sie bis 1264 als Vormund ihres Sohnes Erich V. Klipping. In diese Zeit fällt eine Fehde mit dem Erzbischoff von Lund, Erich I. von Schleswig und mehreren holsteinischen Grafen, die mit der Niederlage und Gefangennahme Margaretes und ihres Sohnes bei der Schlacht auf der Lohheide 1261 endete. Sie kam durch Vermittlung wieder frei und regierte weiter, bis ihr Sohn 1266 die Regentschaft übernahm. 1281 starb Margarete in Rostock.
Über ihren volkstümlichen Namen heißt es: „Sie erhielt vom Volke den Beinamen „die schwarze“ wegen ihres üppigen schwarzen Haares und ihrer dunkeln Gesichtsfarbe, auch waren ihre Züge finster, ihr Wesen herrisch und abstoßend. Sie war eine gewandte Reiterin, in allen körperlichen Künsten eine Meisterin.“[2] Um die „Schwarze Margret“ ranken sich zahlreiche Sagen, die mit der historischen Person mitunter nur wenig zu tun haben. So habe sie mit Hilfe des Teufels das Danewerk bauen lassen und diesen mit einer List um den versprochenen Preis gebracht. Als sie dabei angriffen wurde, habe sie Kühe auf den Wall gestellt, gegen die die Feinde all ihre Pfeile verschossen. Auch sei sie immer auf Pferden mit verkehrt herum befestigten Hufeisen durchs Land geritten, sodass niemand sie finden konnte. Bei der Belagerung von Itzehoe habe sie die Stadt durch einen Staudamm in der Stör überfluten wollen, doch die Jungfrau Maria sei am Himmel erschienen und habe den Damm brechen lassen. An manchen Orten soll sie bis heute als Gespenst umgehen, mitunter auf einem schwarzen Hengst am Margaretenwall dahinjagen mit einem Geisterheer hinter sich.[3] 
Unter all diesen Sagen sticht jedoch jene um den geköpften Fürsten im Dronninghoi als einzigartig heraus: Denn in dem uralten Grabhügel wurde tatsächlich ein Skelett ohne Kopf gefunden …

Die Ausgrabungen

Grundriss des Dronninghoi. Grab II enthält die fragliche Bestattung
(Jankuhn 1939, Abb. 1 nach Splieth)

1886 und 1889 kam es zu Ausgrabungen am Dronninghoi durch den Kustos Wilhelm Splieth. Zu jener Zeit hatte der Grabhügel einen Durchmesser von etwa 30 m bei einer Höhe von 8–9 m; ein Teil der Erde war bereits vom Besitzer zur Ausbesserung von Wegen abgetragen worden.
Im Inneren des Hügels entdeckte man mehrere Gräber. Beim ältesten handelte es sich um eine Steinkammer der neolithischen Trichterbecherkultur (Grab III), westlich davon das nächstjüngere Grab V (Steinpackung ohne Überreste von Bestattung, eine Flintspitze). Grab I, in 3 m Höhe über der Mitte des Steinkreises gelegen, enthielt Reste einer bronzezeitlichen Bestattung mit einer zerbrochenen Gürtelplatte und einer Flintklinge; es handelt sich der Stratigraphie nach um das jüngste festgestellte Grab. Größtes Aufsehen erregte jedoch das große Grab II, das mehrere Bestattungen enthielt – nachfolgend in der Beschreibung des Prähistorikers Karl Kersten:

Grab B (= II nach Splieth), WSW der Hügelmitte 1,50 m über dessen Sohle gelegen, bestand aus einer Packung faust- bis kopfgroßer Steine, deren Form auf mehrere Bauphasen schließen ließ (Abb. 158). Zuunterst lag in 1 m H über der Hügelsohle im südöstlichen Teil der Grabanlage eine im westlichen Teil einschichtige, langovale Steinsetzung von 3 m Lge in NW-SO, die an der südöstlichen Längsseite eine von den Steinen stark zerdrückte, unverbrannte Leiche a ohne Beigaben enthielt, deren Knochen nicht mehr geborgen werden konnten. An der rechten Schulter wurden Lederreste festgestellt, wahrscheinlich die Überbleibsel eines Rinderfells, mit dem man den nicht mehr erhaltenen Holzsarg ausgekleidet hatte. Als nächstjüngere Grabanlage der Packung B ist eine Körperbestattung b anzusehen, die 0,50 m höher als a inmitten der großen nach NO erweiterten Packung beigesetzt wurde (Abb. 158). Sie lag 0,70 m nordöstlich von Körpergrab a und parallel zu ihm. Die unverbrannten Knochen des auf Sandboden ruhenden, von der Packung überdeckten Skeletts waren nur schlecht erhalten. Auf der linken Brust fand sich, mit der Spitze fast nach N, ein grauer Flintdolch 2 (6427 a) mit abgesetztem, verdicktem Griff. Der Kopf des Toten lag nicht an seiner Stelle, sondern zu Füßen, woraus W. Splieth den Schluß zog, daß der Tote mit abgetrenntem Kopf beigesetzt worden war. Hieran knüpfte er die Sage von dem im Kampf gefallenen König, dem die „Schwarze Margret“ den Kopf abgeschlagen hatte. Unmittelbar nordöstlich neben dem zu Skelett b gehörenden Schädel kam ein dicht zusammengedrückter Haufen unverbrannter Knochen mit den Resten eines daraufliegenden Schädels c zum Vorschein (Abb. 158). Der Erhaltungszustand der Knochen des Körpergrabes b ließ keinen Schluß zu, ob der dazu gehörende Kopf gewaltsam abgetrennt worden war. Die Anhäufung der Knochen am SO-Ende dieser Bestattung, der Köpfe b und c, legt die Vermutung nahe, daß das Grab bei einer jüngeren Beisetzung, etwa des Körpergrabes d, gestört und, wie dies oft bei Megalithgräbern beobachtet wurde, die entfernten Knochen an anderer Stelle niedergelegt wurden. Jünger als die Beisetzungen b-c war eine im oberen Teil der Packung B aufgedeckte Körperbestattung d, die ganz oben auf der Packung in einer 1–2 cm dicken Schicht vergangenen Eichenholzes, offenbar des vermoderten Holzsarges, zwischen den Beisetzungen a und b zum Vorschein kam (Abb. 158). Mitten zwischen den Holzresten fand sich ein zu dieser Bestattung gehörender, stark oxydierter Armring 1 (6427 b) mit spitz auslaufenden Enden, von dem nur noch ein Kern grün gefärbten Metalls erhalten blieb. Er lag inmitten eines lockeren, gelblichen Pulvers, wahrscheinlich den Überresten der unverbrannten Leiche, deren Kopf im W geruht haben dürfte. Am Rand der Gesamtpackung kamen bei 3 und 4 einzelne Scherben vermutlich der jüngeren Steinzeit zutage.[4]

Grabungsbefunde im Dronninghoi, Grab II mit den Bestattungen a–c (Kersten 1978, Abb. 158 nach Splieth)

Genauer bei Splieth selbst:

„60 cm weiter nach Osten [vom ersten Skelett] lag ein zweites Skelett, ebenfalls sehr schlecht erhalten, in der aus der Zeichnung ersichtlichen Lage auf einer 0,5 m hohen Sandschicht, wie der Durchschnitt zeigt. Der Schädel lag zu den Füßen der Leiche, eine seltsame Bestätigung der Sage, welche mit späteren Zusätzen durch Jahrtausende die Kunde bewahrt hatte, daß in diesem Hügel ein enthaupteter Krieger bestattet sei. […]
Auf der Brust dieses Skeletts lag ein schön gearbeiteter Flintspeer, 16 cm lang, ungefähr wie J. Mestorf a. a. O., Fig. 73.
Unmittelbar neben dem Schädel 2 lag ein dritter, mit 3 bezeichnet, auf einem dicht zusammengedrückten Knochenhaufen. Die Vermutung, es könnte auch Schädel 2 zu dem Knochenhaufen gehören, dieser also 2 Skelette enthalten haben, ist ausgeschlossen, weil darin die Reste nur eines Menschen enthalten waren. Da ferner an der Stelle, wo der Schädel der zweiten Leiche bei normaler Lage zu suchen war, auch nicht die geringste Spur von Knochenresten beobachtet wurde, bleibt meines Erachtens nur die Möglichkeit, daß der Schädel 2 zu dem Skelett gehört, zu dessen Füßen er lag. Auf welche Weise der Kopf vom Rumpf getrennt worden ist, ließ bei der mangelhaften Erhaltung aller Knochen sich nicht mehr erkennen.“[5]

Die Entdeckung des Grabes II b, bei dem der Schädel zu Füßen des Skelettes lag, scheint die lokale Sage auf deutliche Weise zu bestätigen.
Kersten zieht in Betracht, dass bei der später darüber stattgefundenen Bestattung a „möglicherweise der Schädel des Skeletts b und die Knochen eines in der Nähe gelegenen Skeletts c aus ihrer Lage gebracht und am Fuß des Skeletts b deponiert wurden, so daß im zutreffenden Falle die Niederlegung des zu b gehörenden Schädels zu Füßen der Leiche bei der Bestattung des Toten infrage gestellt wäre.“[6] Dem entgegen betont jedoch Splieth „die äußerst gleichmäßige Verteilung der Erdschichten, besonders des umgebenden gelben Sandes, sowie die regelmäßige Aufschichtung des Steinbaues, die keinen späteren Anbau oder eine Störung der ursprünglichen Verhältnisse erkennen ließen.“[7] Der Querschnitt des Hügels zeigt die Steinschicht über Grab II b intakt. Es kann also höchstwahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass der Tote tatsächlich mit dem Schädel zu seinen Füßen beigesetzt wurde und dies nicht auf eine spätere Störung zurückzuführen ist.

Doch besteht bei der Verschränkung von Archäologie und Sage ein chronologisches Problem: Die Bestattung mit abgetrenntem Kopf datiert in die frühe Bronzezeit um 1500 v. Chr.[8] – mehr als 2700 Jahre vor Lebzeiten Margarete Sambirias und 3350 Jahre vor der ersten vollständigen Verschriftlichung der Sage.
Zum Vergleich: Die Zerstörung Trojas, über deren Historizität die Forschung seit nunmehr Jahrhunderten streitet, fand nur ca. 400 Jahre vor der Verschriftlichung durch Homer und 3200 Jahre vor heute statt. Kann ein lokales Ereignis in einer schriftlosen Kultur über so lange Zeit nahezu unverändert mündlich tradiert werden, dass die Sage mehr als dreitausend Jahre später noch präzise die Grabungsergebnisse vorhersagt?

Kontinuität über drei Jahrtausende?

Die Übereinstimmung von Sage und Befund machte den Dronninghoi in archäologischen Fachkreisen dauerhaft bekannt – zahlreiche Publikationen zitieren ihn als Paradebeispiel für dieses Phänomen, zumal „als das Denkmal, dessen Tradition am weitesten zurückzuverfolgen ist“ [9] (Herbert Jankuhn).    
Damit legt der Fundplatz den Finger in die Wunde eines alten wissenschaftlichen Streits: In welchem Umfang können wir überhaupt annehmen, dass mündliche Überlieferungen über lange Zeit tradiert wurden und dabei eine wiedererkennbare Form behielten?       
Umso kontroverser ist dieses Feld, da in der Vergangenheit (und Gegenwart) allzu viel Missbrauch mit derartigen Kontinuitätsthesen betrieben wurde: Frühe Forscher wie Jakob Grimm versuchten, in Märchen und Sagen alte germanische Substrate herauszuarbeiten, die als Basis einer nationalen deutschen Identität zu dienen hatten, und auch beim gerade zitierten Jankuhn mag man dessen unrühmliche NS-Biografie im Hinterkopf behalten. Vor allem aber zeigte die Forschung immer wieder, wie fluide und veränderlich sich mündliche Überlieferungen über die Zeit verhalten, Varianz und Wandel sind mehr Regel als Ausnahme.  
Die allzu leichtfertige Annahme langer Kontinuität bei mündlichen Überlieferungen mag manchmal problematischen Ideologien Vorschub leisten, oder doch zumindest den Blick für historische Veränderungen trüben – doch sollte auch dies nicht dazu verleiten, die Möglichkeit langer Überlieferung grundsätzlich auszuschließen.         
Kurt Ranke veranschaulicht die Angelegenheit mit einem Beispiel: „Der Tagelöhner Hans Bensien in Sagau, etwa 85 Jahre alt, erzählt um die Jahrhundertwende Wisser Märchen, die er von seiner Großmutter um 1820 als 10jähriger Junge gehört hat. Diese Frau, um 1820 eben falls 85 Jahre alt, hatte ihre Erzählungen wiederum in frühester Jugend überliefert bekommen. So liegt also zwischen ihrer Aufnahme und dem Bericht des Enkels in einem einmaligen Überlieferungswechsel ein Zeitraum von ca. 140 Jahren […] Und man mag nun selbst nachrechnen, wie oft in solcher Überlieferungskette Märchen ihren Besitzer gewechselt haben, um bis ins Mittelalter zurückzukommen: vier- bis fünfmal! Erstaunlich, wie dicht wir also zuweilen noch immer an den Quellen stehen.“[10]

Tatsächlich gibt es noch andere Fälle, in denen man die Konstanz gewisser Sagenelemente (selten der ganzen Erzählung) über mehrere Jahrtausende verfolgen kann, dort ermöglicht durch frühe schriftliche Zeugnisse:

  • Der Frühlingsritus Melia-Telepia beim Volk der Swanen, noch 1917 belegt, scheint auf den hethitischen Telipinu-Mythos (Bronzezeit) zurückzugehen. Auch das im hethitisch-hurritischen Mythos von Ullikummi belegte Motiv der „Steingeburt“ eines Riesen findet sich noch im 19. Jahrhundert in kaukasischen und ossetischen Sagen.[11]
  • Ebenfalls bei den Osseten und verwandten Völkern des Kaukasus findet sich im Rahmen der Narten-Sagen die Geschichte über einen einäugigen Riesen, der mit seiner Schafherde in einer Höhle wohnt und vom Helden Urismag geblendet wird – die Übereinstimmungen zur Polyphem-Episode der Odyssee Homers sind offenkundig.[12]
  • Aus dem alten Ägypten um 1300 v. Chr. ist das sogenannte Zweibrüdermärchen überliefert – darin verarbeitete Stoffe finden sich noch im 19. und 20. Jh. n. Chr. in mündlichen Überlieferungen.[13]

In all diesen Fällen ist eine ältere Version der Motive bereits in Schriftzeugnissen der Bronze- bzw. Eisenzeit belegt, die schriftliche Tradition jedoch bis zur Fixierung der Sagen im 19. oder 20. Jahrhundert abgerissen. Gemein ist den Überlieferungen allerdings auch, dass sich zwar einzelne Elemente (Motive/Hylemschemata) durchziehen, jedoch der narrative Kontext ebenso wie die Protagonisten und andere Elemente sich im Laufe der Zeit vollkommen verändert haben.

Mit der Frage nach Überlieferungskontinuität wird gerne auch die nach Bevölkerungskontinuität verbunden. Lebten vor dreieinhalbtausend Jahren tatsächlich die Vorfahren der heutigen Bevölkerung in derselben Gegend? Im Falle der Lichtensteinhöhle (Lkr. Göttingen, Niedersachsen) konnte genau dies nachgewiesen werden: Eine der beiden bei den jungbronzezeitlichen Bestattungen in der Höhle vorkommenden männlichen Erblinien (12a2bL38) konnte, obwohl überregional sehr selten, noch bei zwei heute in der Region lebenden Männern nachgewiesen werden, was diese zu wahrscheinlichen Nachfahren desselben Familienclans macht.[14] Zumindest in manchen Regionen hat es offensichtlich eine (gewisse) Kontinuität der Bevölkerung von der Bronzezeit bis in die Gegenwart gegeben. Ob dies auch für die Region um Schuby gilt, dürfte mangels geeigneten Vergleichsmaterials (gut erhaltene Bestattungen) jedoch kaum feststellbar sein. Für die Annahme einer gewissen Überlieferungskontinuität – für die auch vielfach alte (vorindogermanische) Gewässernamen als Beleg herangezogen werden – muss jedoch keinesfalls von einer kompletten Bevölkerungskontinuität ausgegangen werden; vielmehr kann geistiges Erbe auch bei jedem außer einem vollständigen Wechsel der Bevölkerung überdauern.

Zwischen Sage und Geschichte

Eine Bestattung aus der Frühbronzezeit und eine Königin aus dem Hochmittelalter – wie kann das zusammenpassen?
Mythen und Sagen sind in ihrer Natur meist polystrat[15], d.h. sie bestehen aus mehreren Schichten bzw. Bestandteilen unterschiedlichen Ursprungs, die sich im Laufe der Zeit miteinander verbunden haben. So lohnt es, im Folgenden den Bestandteilen der Sage einzeln auf den Grund zu gehen.
Hält man sich an die Variante bei Müllenhoff, enthält umfasst die Sage folgende Stoffe:

  • Die Schwarze Margret hat Krieg mit einem anderen Fürsten, überredet ihn zum Zweikampf und enthauptet ihn hinterrücks.
  • Soldaten schütten die Erde für den Dronninghoi mit ihren Helmen auf.
  • Anwohner sehen den Geist des Toten an einer silbernen Tafel mit silbernem Geschirr am/im Hügel sitzen.

Nicht nur der enthauptete Fürst im Hügel, sondern auch die Schlacht und die Figur der „Schwarzen Margret“ haben einen realen Bezug zur Lokalgeschichte:
Der erste schriftliche Beleg für den Namen des Hügels und einen Teil der Sage findet sich in den Annales Episcoporum Slesvicensium des Johann Adolph Cypraeus von 1634. Dieser berichtet von der Schlacht auf der Lohheide, bei der 1261 die dänischen Truppen unter Königin Margarete Sambiria dem holsteinischen Grafen Gerhard I. (1232–1290) unterlagen. Cypraeus beschreibt:

Non longe ab co loco, ubi pugna comissa est, collis quidam adhuc extat & conspicitur, quem Galeis aeneis, hoc ist, armaturis capitis, quibus milites vertice tegere solent, congestum & cumulatu esse, constanti fama & omnium sermone perhibetur. Collis ille vulgo Dronningshuie apellatur, hoc est si ad verbum reddas Collis Regius.

„Nicht weit von dem Ort, an dem die Schlacht ausgetragen wurde, existiert und sieht man noch einen gewissen Hügel, der mit ehernen Helmen, das heißt mit den Kopfpanzern, mit denen die Soldaten ihre Häupter zu bedecken pflegen, zusammengetragen und aufgehäuft wurde, zum ständigen Ruhm und Gespräch aller, wird erzählt. Dieser Hügel wird allgemein Dronningshuie genannt, was, wenn man es im Wortlaut übersetzt, Königshügel ist.“[16]

Hier findet sich bereits das auch von Müllenhoff bekannte Motiv, dass die Erde des Hügels von Soldaten mit ihren Helmen zusammengetragen wurde. Auch ist zu diesem Zeitpunkt der Bezug zur historischen Schlacht auf der Lohheide noch klar, während Müllenhoff später nur noch von einer beliebigen anonymen Schlacht berichtet. Dagegen fehlen bei Cypraeus der Zweikampf und die Enthauptung noch vollständig. Die Beziehung der an der Schlacht beteiligten Königin Margarete zum Grabhügel lässt sich nur durch den Namen Dronningshuie („Hügel der Königin“[17]) erschließen. Daxelmüller schließt daraus: „In der Sage hat sich offenbar eine mit dem Grabhügel verknüpfte alte Überlieferung von einem enthaupteten Fürsten mit der Erinnerung an die Schlacht auf der nahen Lohheide verschmolzen, zumal der Grabhügel schon im 17. Jh. als „Dronninghoi“ bezeugt ist“[18]
Dabei wurde der Ausgang der Schlacht von der Sage umgedreht: Während die reale Margarete Sambiria zusammen mit ihrem Sohn Erich unterlag und in Gefangenschaft geriet, gelingt es der „Schwarzen Margret“, ihren Gegner erst zum Zweikampf zu überreden und dann hinterhältig zu ermorden.
Trotz der Parallelen zu historisch bzw. archäologisch fassbaren Eckpunkten ist bei einer allzu historisierenden Interpretation von Sagen stets Vorsicht angesagt:
„Trotz der oft hohen und daher den Zufallsfaktor zuerst einmal auszuschließen scheinenden Übereinstimmung zw. populärem Erzählgut und Ausgrabungsergebnis fällt auf, daß bei den genannten Sagen um prähist. Denkmäler das reduzierte erzählerische Motiv auch andernorts geläufig und damit für den speziellen lokalen Befund untypisch ist.“[19]

Dies gilt am deutlichsten für den letzten Teil der von Müllenhoff überlieferten Version der Sage: Demzufolge habe man den Prinzen „da noch oft sitzen sehen vor einer silbernen Tafel, mit einem silbernen Teetopf, einer silbernen Milchkanne und einer silbernen Tasse“ – interessanterweise findet der abgeschlagene Kopf hierbei keine Erwähnung mehr.
Dieses Motiv ist klar als Variante des weit verbreiteten Sagenmotivs vom „Schatz im Berg“[20], „König im Berg“ (z.B. Barbarossa im Kyffhäuser oder Karl im Unterberg[21]) oder „Tafeln der Unterirdischen“ zu identifizieren. So heißt es etwa in der lokalen Sage vom „Rummelsberg“ und „Königsberg“ bei Peckatel (Lkr. Ludwigslust-Parchim, Mecklenburg-Vorpommern), dem Fundort des berühmten Kesselwagens, dass dort die Unterirdischen an einer Tafel speisen.[22] Eine fast identische Sage über den Tisch der Unterirdischen auf einem Berg existiert auch in der Nähe von Kiel.[23] In altnordischen Sagas werden Untote (Draugar) als in ihrem Grabhügel sitzend beschrieben.[24] Beim Dronninghoi dürfte dieser Teil der Sage also kaum eine lokalhistorische Verankerung besitzen, sondern sich vielmehr irgendwann im Laufe der Zeit als bereits etabliertes Sagenmotiv an den verwandten Stoff „angelagert“ haben.[25]      
Doch ist zumindest der Kern der Sage, die Enthauptung des Prinzen, ein exklusives Motiv?

Prinzessin Thyra – Eine weitere Enthauptungssage

Das Danewerk – links Richtung Waldemarsmauer, in der Mitte das einzige Tor, rechts Straße Richtung Schuby, weiter rechts zur Thyraburg. (Foto LI)

Nur etwa 4 km südlich von Schuby liegt das Danewerk. Der mehrschichtige Erdwall von 5 km Länge wurde im Frühmittelalter in mehreren Phasen als Bollwerk des Königreiches Dänemark gegen den Süden errichtet. Im heutigen Ort Klein-Dannewerk können das Danewerkmuseum, das historische Tor des Danewerks sowie (im Westen) die Waldemarsmauer als einziger ausgegrabener Teil der von König Waldemar I. (1131–1182) errichteten Ziegelmauer besichtigt werden. Im Osten dagegen endet dieser Teil des Danewerks in die sogenannte Thyraburg am Rande eines heute verlandeten Sees. Man nimmt an, dass sich hier im Frühmittelalter eine hölzerne Turmhügelburg befand – heute zeugt nur noch ein Erdplateau von 35 x 45 m Fläche von der einstigen Befestigung. Wann und von wem die Thyraburg errichtet wurde, ist unbekannt – der anschließende Abschnitt des Danewerks datiert mit einer Errichtung um 737 n. Chr. noch vor die Wikingerzeit. Im Volksmund jedoch wurde das Monument jedoch mit der dänischen Königin Thyra Danebod (ca. 880–935) verbunden. Als Frau von König Gorm war diese die Mutter des berühmten Harald Blauzahn. Wie um die Schwarze Margret ranken sich auch um sie zahlreiche Sagen und Legenden. So heißt es über eine gefährliche Geistererscheinung auf der Thyraburg:

„Hier hat man oft in der Dämmerung des Spätsommers eine hohe Frau auf einem goldenen Stuhle sitzen sehen, wie sie ihr langes Haar mit goldenem Kamme kämmt; wenn sie es in Flechten gelegt, so verschwindet sie. In der Johannisnacht sieht man sie jedesmal, besonders gegen Morgen, da sitzen, umgeben von vielen Menschen. Wer dann zu ihr kommt, den zieht sie mit in ihr unterirdisches Reich hinab. Daher warnen Mütter ihre Kinder, in der Zeit nicht dahin zu gehen.“[26]

Die Thyraburg – rechts der verlandete See, links das Danewerk (Foto LI)

Müllenhoff zitiert jedoch noch eine weitere bemerkenswerte Sage, die im Dorf Kurborg bei Schleswig nach mündlichem Bericht wörtlich niedergeschrieben wurde:

„Auf der Thürenburg beim kleinen Danewerk saß vor langen Zeiten eine Königstochter, die hieß Thüra, nach ihr ist auch der Berg genannt. Nun kam dazumal ein fremder Prinz, um sie zu freien, der war aber so häßlich, daß niemand ihn ersehen konnte, auch die Prinzeß nahm ihn höchst ungern, konnte es ihm aber nicht abschlagen. Endlich fiel sie auf einen Rat. Kurz vor der Hochzeit nahm sie mit dem Bräutigam einen Spazierritt auf dem alten Wall nach Hollingstedt vor, da ging damals noch eine Inbucht von der Westersee herein. Auf dem Rückweg ließ die Prinzessin ihr Schürztuch fallen, als ob der Wind es ihr entführte. Da sagte der Prinz: Prinzessin, Ihr habt Euer Schürztuch fallen lassen, wollt Ihr es nicht mitnehmen? – Darauf antwortete sie: Ei, wenn Ihr ein redlicher Ritter seid, so solltet Ihr, junger Herr, doch selbst absteigen und mir das Tuch aufheben! – Da ritt er hin zur Stelle und bückte sich vom Roß, und die Prinzessin ritt auch hin, zog, wie er sich bückte, sein Schwert rasch aus der Scheide und hieb ihm den Kopf ab. Als sie nun nach Hause kam und gefragt wurde, wo sie denn ihren Bräutigam gelassen habe, da sagte sie: Ach, wir ritten den alten Wall entlang, da sind die Unholde über uns gekommen und haben dem Prinzen den Kopf abgeschlagen, ich aber bin hinweggeritten. – Da wurde der Tote aufgesucht und in einen Riesenberg (Hünengrab) gelegt, auf das Esperstorfer Feld, wo man es in den Dreibergen nennt.“[27]

Die Hinleitung der Geschichte ist zwar eine deutlich andere als bei der Schwarzen Margret vom Dronninghoi (dort Schlacht und Zweikampf, hier unliebsame Verlobung und Ausritt). Doch zeigen beide Sagen auch bemerkenswerte Parallelen: In beiden bringt die Frau den Prinzen mit einer List dazu, sich zu bücken, woraufhin sie ihm heimtückisch den Kopf abschlägt. Der Prinz wird anschließend in einem Grabhügel beigesetzt (die Thyra-Sage nimmt somit auf gleich drei Monumente – Thyraburg, Danewerk und Dreebargen – Bezug). Die Schauplätze der Sagen liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt.
Beide Protagonistinnen basieren ursprünglich auf dänischen Königinnen, haben sich jedoch zunehmend zu eigenständigen Sagenfiguren entwickelt. Insbesondere die Schwarze Margret zog als überregional bekannte Figur eine Vielzahl von Sagenstoffen an sich. Dies ist ein aus Sagen und Mythologie wohlbekanntes Phänomen. Christian Zgoll beschreibt dies im Tractatus Mythologicus (2019):

„So entfalten bspw. einzelne Stoffe oder auch Gestalten in der Mythologie, die besonders prominent sind, eine regelrechte Sogwirkung. Durch diese Sogwirkung werden ursprünglich fremde oder nur lose assoziierte Stoffe oder einzelne Stoffelemente angezogen und mit prominenten Stoffen bzw. Stoffen prominenter Gestalten vermischt, oder es werden zumindest Elemente fremder Stoffe integriert. Auf diese Weise entstehen aus ursprünglich getrennten Überlieferungen gänzlich neue Stoffgebilde.“[28]

Ein prominentes Beispiel hierfür ist die griechische Figur des Herakles, mit dem eine unüberschaubare Vielzahl von Geschichten verbunden wurde:

„Angesichts des unaufhaltsamen Aufstiegs des Herakles am Himmel der mythischen Helden Griechenlands musste es unvermeidlich zu Prozessen kommen, in denen ursprünglich eigenständige Stoffe durch ihre Verbindung mit dem überall durchreisenden Herakles ihre Eigenständigkeit verloren – einerseits ein Verlust, weil eine „vor-herakleische“ Gestalt dieser Stoffe in manchen Fällen kaum mehr sicher rekonstruiert werden kann, andererseits aber auch ein Glücksfall insofern, als sie ohne diese Assoziation mit Herakles in manchen Fällen vermutlich gänzlich verloren gegangen wären.“[29]

Dies lässt sich auch auf die beiden Sagen von Dronninghoi und Thyraburg anwenden: Bei der heimtückischen Enthauptung des Prinzen kann es sich durchaus um dasselbe Sagenmotiv (nach Zgoll: Hylemschema) handeln, das möglicherweise schon seit langem in der Region tradiert und erst sekundär mit den semihistorischen Figuren Margarete und Thyra verbunden wurde. Ursprünglich mag es sich also um Varianten derselben Sage gehandelt haben, die sich mit der Zeit – quasi evolutionär – auseinanderentwickelten.
Eine solche Mutation und Evolution der Sage kann man im Falle des Dronninghoi sogar in jüngster Vergangenheit beobachten.

Das zweite Skelett und die Mutation der Sage

Das tatsächliche Grab von Margarete Sambiria im Doberaner Münster (Rainer Halama, Wikimedia Commons)

Die Auffindung des Skelettes mit dem Kopf zu seinen Füßen erregte bei der Ausgrabung allgemeine Aufmerksamkeit. Doch eines hatte die Sage nicht vorausgesagt: Neben dem „enthaupteten Krieger“ fand sich eine weitere Bestattung mit einem vollständigen Skelett (II a). Doch nun geschah etwas Bemerkenswertes unter den Einheimischen, wo die Sage noch immer sehr lebendig war:

„Die Kunde von dem merkwürdigen Funde verbreitete sich rasch in der Gegend, und bald hatte der Volksmund die Erklärung der ersten Leiche gefunden, welche als die der Königin Margareta gedeutet wurde. Es hieß, sie habe aus Reue über ihre Tat verfügt, nach ihrem Tode an der Seite des Fürsten bestattet zu werden, und ihr Wunsch sei erfüllt. Ein interessanter Beitrag zur modernen Sagenbildung.“[30]

Diese neue Variante der Sage scheint sich vor Ort bald durchgesetzt zu haben. Als ich am 1. Januar 2022 den Dronninghoi besuchte, vermochte ich mit dem aktuellen Bewohner des Grundstückes zu sprechen. Ihm zufolge sei die Sage im Dorf noch heute gut bekannt – und zwar in der jüngeren, erweiterten Fassung: Die Schwarze Margarete sei später gestorben und dann ebenfalls im Hügel neben ihrem enthaupteten Gegner begraben worden. Es heißt, sie solle noch immer dort herumspuken – er selbst habe bisher jedoch noch nichts von ihr gesehen.
Dies ist ein hervorragendes Beispiel für den lebendigen Charakter von Sagen und Mythen: Sie werden in aller Regel nicht starr in einer kanonischen Form tradiert, sondern liegen meist in Varianten vor, die sich durch Aufnahme neuer Motive weiterentwickeln und neue Varianten bilden. Gerade bei Sagen zu archäologischen Fundplätzen ist daher stets Vorsicht angebracht: Beim Vergleich zwischen Sage und Grabungsergebnissen muss immer damit gerechnet werden, dass die Grabungsergebnisse selbst die Sage beeinflussten. Daher ist es unerlässlich, sich auf eine Quelle der Sage zu stützen, die nachweislich vor der Ausgrabung aufgezeichnet wurde. Im Falle des Dronninghoi ermöglicht die Jahrzehnte zuvor erfolgte Verschriftlichung der Sage durch Karl Müllenhoff glücklicherweise den zuverlässigen Vergleich beider Varianten untereinander sowie der „ursprünglichen“ Sage mit den Grabungsbefunden.

Diese Entwicklung muss in beide Richtungen beachtet werden: Zum einen ist die Mutation einer Sage auch in der Gegenwart niemals abgeschlossen, solange sie mündlich oder auch schriftlich weitertradiert wird. Dies zeigen Fälle wie der Dronninghoi, aber auch die Vielzahl moderner Sagen („Urban Legends“), Verschwörungsmythen etc.. Auf der anderen Seite ist auch jede Sage, wie sie uns in einer historischen Quelle entgegentritt, bereits das Ergebnis eines solchen Entwicklungsprozesses, im Laufe dessen sie Details veränderte, sich dem Zeitgeist anpasste, neue Stoffe absorbierte oder alte verlor. Eine „ursprüngliche Fassung“ ist damit nicht nur kaum rekonstruierbar, sondern de facto inexistent[31] – allenfalls ein historischer Kern kann in seltenen Fällen vorliegen und noch seltener rekonstruiert werden.

Stratigraphie einer Sage

Die Sage von Dronninghoi verhält sich ganz wie der Grabhügel selbst – ein Konvolut aus verschiedenen Schichten aus unterschiedlichen Zeiten, die nur auf den ersten Blick ein einheitliches Ganzes ergeben.

Schicht I. Ganz offensichtlich ist in der Tat der Bericht über die Bestattung eines enthaupteten Fürsten über fast drei Jahrtausende mündlich tradiert worden. Sowohl kopflose Bestattungen als auch Sagen über Enthauptungen kommen auch anderswo vor, doch sind beide nicht so verbreitet, dass sich ihr Zusammentreffen mit hinreichender Wahrscheinlich als Zufall erklären ließe.           

(Schicht Ia.) Möglicherweise entstand schon vor der folgenden Erweiterung die Überlieferung, der Tote sei von einer Frau hinterhältig geköpft worden – diese Fassung könnte den gemeinsamen Vorgänger zur Sage der Thyra von der Thyraburg darstellen.

Schicht II (Cypraeus – 1634). Frühestens ab dem 14. Jh., spätestens im 17. Jh. wurde die lokale Sage mit der Schlacht auf der Lohheide und der Gestalt der „Schwarzen Margret“ verbunden. Im Gegensatz zu anderen Sagen, in der die überregional bekannte „Schwarze Margret“ auftaucht, besteht hier tatsächlich ein Zusammenhang zur historischen Königin Margarete Sambiria. Bei Cypraeus ist bereits der Bezug zur Schlacht und Königin vorhanden sowie die Überlieferung, der Hügel sei von Soldaten mit ihren Helmen aufgeschüttet worden. Der Name Dronningshuie („Hügel der Königin“) ist etabliert.
Alternativ zu Schicht Ia könnte auch in einer Version, die die Schwarze Margret bereits enthielt, diese in einer Nebentradition gegen die benachbarte Thyra ausgetauscht worden sein.

Schicht III (Müllenhoff – 1845). Die Version, die Müllenhoff berichtet, enthält nun die ganze Geschichte der hinterhältigen Enthauptung; Schlacht und Königin scheinen sich von ihren historischen Vorbildern weitgehend gelöst zu haben. Hinzugekommen ist auch das weit verbreitete Sagenmotiv vom Toten, der im Hügel an einer silbernen Tafel speist.
Frahm (1890) erwähnt zusätzlich einen Schatz im Hügel, erzählt aber sonst dieselbe Version.

Schicht IV (ab 1889). Nach der Ausgrabung wurde die Sage um die Bestattung der Schwarzen Margret selbst erweitert, um das andere Skelett von Grab B zu erklären. Seitdem spukt auch sie an diesen Ort.

Demnach besteht die Sage aus zwei historischen Kernen (enthaupteter Fürst / Schlacht auf der Lohheide), die sich sekundär miteinander verbanden und weitere Sagenmotive absorbierten.
Über den ursprünglichen Inhalt der Sage – und das heißt ganz konkret: den Moment der Bestattung selbst, als die Überlieferung ihren Anfang nahm – lässt sich nur spekulieren: „Was vorher war, eine ähnliche Sage vielleicht mit anderen Akteuren oder ein Memorat nur von einem enthaupteten Krieger, der in diesem Grab ruhe, wissen wir nicht.“[32].
Warum wurde im Dronninghoi wirklich ein Mensch mit dem Kopf bei den Füßen bestattet?
Es handelt sich dabei um eine in der Bronzezeit zwar nicht singuläre[33], aber doch seltene und nicht der Norm entsprechende Bestattungsart. Ein Akt der nachtodlichen Demütigung ist auszuschließen – dem widerspricht die Bestattung in einem großen, bereits damals altehrwürdigen Grabhügel. Auch ein Tod durch Enthauptung im Kampf hätte doch eher zu einer Bestattung mit normaler Kopflage geführt. Eine Alternative wäre die Annahme eines rituellen Bestattungsbrauches, den wir heute mangels Schriftquellen nicht mehr nachvollziehen können.
H. Jankuhn (1939) vermutete den Grund für die Enthauptung in der Furcht vor Wiedergängern, wofür er eine Reihe von Vergleichsfunden von der Jungsteinzeit bis ins Mittelalter anführt. Aus späteren Zeiten (isländische Sagas und neuzeitlicher Volksglaube) ist die Enthauptung eines Toten als Maßnahme gegen eine befürchtete Auferstehung gut bezeugt. Die Rückprojektion solcher Vorstellungen in deutlich frühere Perioden[34] ist nicht unplausibel, aber doch zwangsläufig spekulativ und kaum zu beweisen.
Wenn man jedoch der Sage glauben will, dass man den Toten bisweilen noch immer an seiner silbernen Tafel sitzen sehe, so scheint die Methode in diesem Fall doch ihren Zweck verfehlt zu haben.

Literatur

Bechstein, L. 1930 (Orig. 1853): Deutsches Sagenbuch, Meersburg/Leipzig.

Borchardt, E. / J. 2008: Sagenhafte Orte. Um den Schweriner See. Zwischen Warnow und Stepenitz, Döpe und Lewitz, Schwerin.

Cypraeus, J. A. 1634: Annales Episcoporum Slesvicensium, Köln.

Flindt, S. / Hummel, S. 2021: Rätsel Lichtensteinhöhle. Eine Großfamilie aus der Bronzezeit, Darmstadt.

Frahm, L. 1890: Norddeutsche Sagen von Schleswig-Holstein bis zum Harz, Altona/Leipzig.

Grimm, J. / W. 1816: Deutsche Sagen. Band 1, Berlin.

Haas, V. 1982: Hethitische Berggötter und Hurritische Steindämonen. Riten, Kulte und Mythen. Eine Einführung in die altkleinasiatischen religiösen Vorstellungen. Kulturgeschichte der antiken Welt 10, Mainz.

Jankuhn, H. 1939: Eine stein-bronzezeitliche Grabsitte und ihr Fortleben im späteren Brauchtum. Offa 4, 92–108.

Kersten, K. 1978: Südschleswig-Ost. Die Kreise Schleswig-Flensburg und Rendsburg-Eckernförde (nördlich des Nord-Ostsee-Kanals). Die Funde der älteren Bronzezeit des nordischen Kreises in Dänemark, Schleswig-Holstein und Niedersachsen 4. Kopenhagen/Neumüns­ter 1978.

Kohse, A. 2019: Irreguläre Bestattungen im Alten Ägypten. Eine Studie zu Sonderfällen im Bestattungsbrauch. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. phil. am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin, Berlin.

Müllenhoff, K. 1845: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, Kiel.

Ranke, K. 1969: Orale und literale Kontinuität, in: H. Bausinger / W. Brückner (Hg.), Kontinuität? Geschichtlichkeit und Dauer als volkskundliches Problem, Berlin, 102–116.       

Schubart, H. 1972: Die Funde der älteren Bronzezeit in Mecklenburg. Untersuchungen aus dem Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Schleswig, dem Landesamt für Vor- und Frühgeschichte von Schleswig-Holstein in Schleswig und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Kiel 26, Neumünster.

Sikojev, A. (Hg.) 2005: Kinder der Sonne. Die Narten – Das große Epos des Kaukasus, Kreuzlingen/München.

Splieth, W. 1895: Zwei Grabhügel bei Schleswig. Mitteilungen des Anthropologischen Vereins in Schleswig-Holstein 8, 13 ff. (Primärpublikation der Grabung)

Struve, K. W. / Daxelmüller, C. 1986: Dronninghoi. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 6 (auch online), 185–189.

Sudholz, G. 1964: Die ältere Bronzezeit zwischen Niederrhein und Mittelweser. Münstersche Beiträge zur Vorgeschichtsforschung 1, Hildesheim.

Zgoll, C. 2019: Tractatus mythologicus. Theorie und Methodik zur Erforschung von Mythen als Grundlegung einer allgemeinen, transmedialen und komparatistischen Stoffwissenschaft. MythoS 1, Berlin/Boston.


[1] Müllenhoff 1845, 18 f (Nr. 17.2 „Swarte Margret“).
Quelle: „(Cypraei Annal. episc. Slesv. S. 276.) Provinzialberichte 1830 S. 348. Mitgeteilt von cand. phil. Arndt.“
Alternativ erzählt bei Frahm 1890, 46 f: „Unweit Schleswig’s liegt ein Hügel, welcher unter dem Namen Dronningshoi (Königin-Höhe) bekannt ist. Er ist die Grabstätte eines Fürsten, der hier von der schwarzen Margaret hinterlistig getötet worden ist. Sie schlug statt der Feldschlacht der Heere einen Zweikampf vor, und der Fürst ging darauf ein. Mitten im Kampfe aber hielt die Königin inne und bat um kurze Unterbrechung, damit sie ihre Sturmhaube fester aufsetzen könne. Und als der Fürst einwilligte, machte sie noch die Bedingung, daß er seinen Degen so lange tief in die Erde bohre, bis sie wieder kampfbereit sei. Arglos kam der Fürst auch dieser Forderung nach. Plötzlich drang sie auf ihn ein und hieb ihm den Kopf ab. Seine Soldaten bestatteten ihren Herrn feierlich, indem sie Erde in ihren Helmen herbeitrugen. Dadurch entstand der Hügel. Später hat man den Fürsten auf dem Hügel oft an einer mit reichem Silbergeschirr besetzten Tafel sitzen sehen und die Sage geht noch, daß hier ein Schatz liege.“

[2] Frahm 1890, 44.

[3] Müllenhoff 1845, 17 f (Nr. 17.1 „Swarte Margret“) u.a. und Frahm 1890, 44–48.

[4] Kersten 1978, 154.

[5] Splieth 1895, zitiert nach Jankuhn 1939, 95 f.

[6] Kersten 1978, 154.

[7] Splieth 1895, zitiert nach Jankuhn 1939, 96.

[8] Struve/Daxelmüller 1986, 187: „Durch die Grababfolge darf eine Datierung des Grabes Bb (Skelett mit Schädel am Fußende) in die frühe BZ, ± 1500 v. Chr., als gesichert gelten.“ Zur relativen Chronologie kommt der beigegebene Flintdolch hinzu, dessen Typ (VI a nach Kühn) in der frühen bis älteren nordischen Bronzezeit vorkommt (ebd., 186).

[9] Jankuhn 1939, 99.

[10] Ranke 1969, 105.

[11] Haas 1982, 210 f.

[12] Sikojev (Hg.) 2005, 54–60.

[13] Ranke 1969, 110 f.

[14] Flindt/Hummel 2021, 133–135.

[15] Zgoll 2019, 22: „Ein mythischer Stoff besteht daher nicht nur aus unterschiedlichen Stoffvarianten, sondern jede einzelne Variante ist außerdem insofern ein komplexes Gebilde, als sie in aller Regel Elemente unterschiedlicher Herkunft in sich trägt, so daß jede Stoffvariante für sich genommen in der Regel vielschichtig bzw. polystrat ist.“

[16] Cypraeus 1634, 275 f. Übersetzung LI.

[17] Cypraeus übersetzt ungenau Collis Regius „königlicher Hügel“ und ignoriert dabei das weibliche Geschlecht (dänisch dronning „Königin“ vs. konge „König“).

[18] Struve/Daxelmüller 1986, 185.

[19] Struve/Daxelmüller 1986, 189.

[20] z.B. Müllenhoff 1845, 373 (Nr. 547 „Der Goldkeller im Laböer Berge“).

[21] Grimm 1816, 33 (Nr. 28 „Kaiser Karl im Unterberg“). Siehe auch Wikipedia: Bergentrückung.

[22] Schubart 1972, 134 / Borchardt 2008, 61.

[23] Müllenhoff 1845, 305 (Nr. 455 „Der Tisch der Unterirdischen“).

[24] Jankuhn 1939, 100: „So kann man der Njalssaga zufolge Gunnar im Hügel sitzen sehen, und Thrain sitzt auf einem Stuhl im Grab, als Hromundr zu ihm kommt.“

[25] So auch Struve/Daxelmüller 1986, 188: „Erweist sich somit die heute verbreitete Sagenversion vom D. als Gestaltung spätromantischer folkloristischer Kompilations- und Editionstätigkeit, so erregt andererseits der den Erzählkern bestätigende Grabungsbefund Aufmerksamkeit.“

[26] Müllenhoff 1845, 364 f (Nr. 535 „Die Frau auf der Thyrenburg“).

[27] Hochdeutsch nach Bechstein 1853, 147 (Nr. 186 „Prinzessin Thüra“).
Platttdeutsches Original bei Müllenhoff 1845, 43 f (Nr. 44 „Prinzessin Thyra“): „Up de Thürenburg bi lütten Dennewerk hett vœr lange Tiden ene Künnigsdochter sęten, de würr Thüra nennt. Na ęhr heet ok noch de Borg so. Nu keem da maal en frömde Prinß, de wull na ęhr frien. He weer awer so häßlich, dat em keen Minsch liden kunn; de Prinßeß wull em ok ungeern nęmen, se kunn em et awer nich afslaan. Toletzt füll ęhr en Raad bi. As bald de Hochtied sien sull, nemen se en Spatzeerritt vœr, den ollen Wall entlank na Hollingstęd, da güng datomaal noch en Inbucht van de Westersee herin. Dahen reed se mit ęhren Brüdegam. As se nu werrer torüch riden wullen, leet se mit eenmaal ęhr Schörteldook fallen, as wenn de Wind dat weg weit harr. Da sę de Prinß: »Prinßeß, se hett ęhr Schörteldook fallen laten; will se dat nicht mitnęmen?« Da sę se em to Antwoort darup: »Wenn he en rechtschapen Kavaleer is, sull he sülwen afstigen, junge Herr, un mi dat Dook upnęmen.« Da steeg he af un buck sik daal; sien Swęrt weer awer an den Sadel fast. Da reed de Prinßeßin hento, tröck dat Swęrt ut un slög em den Kopp af. As se nu to Huus keem, sull se seggen, wo ęhr Brüdegam weer. »Ah!« seggt se, »wi reden den ollen Wall entlank, da kemen de Unholden achter uns un hebbt em faten kręgen un em den Kopp afslaan; ik awer reed weg.« Da würr de Dode upsöcht un in en Risenbarg leggt up dat Esperstorfer Feld. Dat plegt man nu to nennen in de Dreebargen.“
Quelle: „Nach mündlicher Relation im Dorfe Kurborg bei Schleswig wörtlich niedergeschrieben von Herrn cand. phil. Arndt.“

[28] Zgoll 2019, 296.

[29] Zgoll 2019, 297.

[30] Splieth 1895, zitiert nach Jankuhn 1939, 95.

[31] Siehe dazu Zgoll 2019, 57–61 und 138–143.

[32] Ranke 1969, 107.

[33] Eine ähnliche Bestattung aus der Bronzezeit fand sich etwa in Vorwohlde, Lkr. Diepholz (Niedersachsen): „Im Südostteil des Hügels, ca. 1 m höher als die Hauptbestattung, ein Frauengrab. Der Schädel der Toten war abgetrennt und lag in ihrem Schoß“ (Sudholz 1964, 96). Jankuhn zitiert zudem ein Skelett mit abgetrenntem Kopf und Steinbeschwerung in Pinnow, Lkr. Uckermark (Brandenburg) sowie ein Doppelgrab mit kopflosem Kind in Esselborn-Kettenheim, Lkr. Alzey-Worms (Rheinland-Pfalz) (Jankuhn 1939, 101).

[34] Für das alte Ägypten derselben Zeit sind genau solche Vorstellungen und Praktiken durch Kohse 2019 herausgearbeitet worden.